Nach seinem schulischen Scheitern, das in einem Selbstmordversuch gipfelte, fasste der 18-jährige Hesse einen Entschluss: Er wollte seinem Leben als Buchhändlerlehrling in Tübingen Stabilität verleihen. In der mittelalterlich-romantischen Universitätsstadt führte er ein zurückgezogenes Leben. Hesse nutzte seine spärliche Freizeit für seine Leidenschaft: die Literatur.
Die ‚10 Gebote‘ des Vaters für Hermann Hesses Tübinger Zeit.
Brief von seinem Vater vom 12. oktober 1895.
Reproduktion. DLA Marbach / © Suhrkamp Verlag Berlin
Für Tübingen
12. Okt. 95
1. Wohnung und alle Mahlzeiten bei Frau Dekan Leopold, Herrenbergerstr. 28.
2. Vormittagsvesper giebt sie mit; Nachmittagsvesper lässt Herr Sonnewald kommen
(Bier und Brot).
3. Taschengeld, 1½ Mk. Wöchentlich, zahlt jeden Samstag Frau Dekan Leopold.
4. Alle Rechnungen für Schuhflicken u. dergl. notwendige Dinge bezahlt Frau Dekan
u. muß die betr. Rechnung quittiert ihr wie- dergebracht werden zum Aufheben für
mich. Für Haarschneiden u. dergl. giebt Frau Dekan das Nötige.
5. Alle anderen Ausgaben zu vermeiden. In besonderen Fällen jedenfalls vorher bei mir
anfragen. Schulden dürfen absolut nicht gemacht werden. Ich werde keine Rechnung
für Dinge bezahlen, die ohne meine vorherige Erlaubnis gekauft sind.
6. Kein Buch aus der Buchhandlung heimnehmen ohne vorherige Erlaubnis
des Prinzipals.
7. Das Rauchen auf ein Minimum beschränken, weil es den Appetit vermindert, die
Nerven reizt und Geld kostet. Nur wenn man sich ganz bestimmt ein festes Mass
setzt u. daran streng und […]
[…] regelmässig festhält, kann man ein mässiger Raucher bleiben. Im andern Fall
wird das Rauchbedürfnis immer grösser und unwiderstehlicher gerade wie bei
anderen feinen Giften, die in kleinster Dosis etwa anregen, über das wirkliche Bedürfnis
hinaus gebraucht aber furchtbaren Schaden anrichten.
8. Kartenspiel um Geld u. dergl. einfach abweisen mit der festen Erklärung: „ich habe
kein Geld zum Verlieren, und durch Spielen will ich auch keins gewinnen.“
9. Wäsche zum Waschen u. Flicken nach Calw schicken.
10. Papier, Federn u. ähnliches nicht kaufen, sondern aus Calw erbitten. Mit der
Wäsche kann man immer was schicken.