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Briefwechsel und Ausstellung zur Dichterbeziehung zwischen Hermann Hesse und Peter Weiss

Meldung vom 02.07.2010

CALW. Ob Undank, pure Vergesslichkeit, Abnabelungsprozess oder kritische Distanz eines inzwischen selbst arrivierten Autors, der möglicherweise seine einstige Verbundenheit zu Hermann Hesse als peinlich empfand, das ist nicht genau auszumachen und wird wohl immer ein biographisches Rätsel bleiben. Fest steht jedenfalls, dass in den Sommern 1937 und 1938 der im schweizerischen Montagnola residierende Hesse in der Nähe seiner Wohnung den jungen, aus der Tschechoslowakei unterbrachte und dem angehenden und mittellosen Schriftsteller gegen Honorar einige Illustrationsaufträge gab, darunter die Hesse-Erzählung „Kindheit des Zauberers“. Auch sorgte Hesse hernach dafür, dem zwischen den Berufswünschen Maler oder Autor schwankenden Weiss ein Studium an der Prager Kunstakademie zu ermöglichen. Weiss, Jahrzehnte später durch sein Drama „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ weltbekannt geworden, hatte im Januar 1937 das getan, was viele schreibende junge Leute tun, um sich den Rat und die Protektion eines bekannten Dichters und Schriftstellers zu sichern: Er hatte dem Autor von „Demian“ und „Steppenwolf“ einfach einen recht selbstbewussten Brief geschrieben und diesem auch ein Manuskript zur Begutachtung beigelegt. „Ich suche nach einem Weg und kann ihn nicht finden“, schrieb Weiss nach Montagnola. Obwohl gewöhnlicherweise Hesse - von solchen Bittbriefen überschwemmt -, ungnädig reagierte, machte er diesmal eine Ausnahme, denn er hatte das zeichnerische und schreiberische Talent des damals 20-Jährigen erkannt. Ermuntert von Hesses brieflichem Zuspruch beschloss Weiss im Sommer 1937, eine Fußwanderung in die Schweiz zu unternehmen, um den verehrten Dichter aufzusuchen, der damals an seinem „Glasperlenspiel“ arbeitete. Auch als Weiss schon längst wieder in Prag war und 1939 schließlich mit seinen Eltern nach Schweden emigriert, blieb der Briefkontakt zu Hesse aufrecht erhalten. Warum dann Weiss diesen Briefwechsel 1944 dann plötzlich abbrach, können selbst die Herausgeber Beat Mazenauer und Volker Michels nicht erklären, die in einer sorgfältig betreuten Edition sowohl die wechselseitigen Briefe der beiden Autoren vorlegten. In diesem Band ebenfalls enthalten die bislang unveröffentlichte, noch deutlich durch Hesses Stil beeinflusste Weiss-Erzählung „Cloe“, sowie die kurze Betrachtung über seinen Schweiz-Aufenthalt „Ich lebte damals mit Klingsor“. Diese literaturgeschichtlich bemerkenswerten Dokumente verdienen ein aufmerksames Publikum, ebenso wie die heute an Hesses 133. Geburtstag beginnende Sonderausstellung „Hermann Hesse und Peter Weiss“ im Hesse-Museum am Calwer Marktplatz. Der Hesse-Experte Herbert Schnierle-Lutz hat auf Grundlage von Vorarbeiten der Partnermuseen in Montagnola und Gaienhofen diese Ausstellung konzipiert und viel Anschauungsmaterial zusammengetragen, um die einerseits sicherlich nicht ganz unproblematische Beziehung der beiden Großschriftsteller, andererseits aber auch deren Verbundenheit aufzuzeigen. Der Hesse-Herausgeber Volker Michels wird zur Vernissage heute abend um 19:30 Uhr den Eröffnungsvortrag halten. Sebastian Giebenrath Sonderausstellung „Hermann Hesse und Peter Weiss“, ab 2. Juli, Hesse-Museum Calw, Marktplatz Hermann Hesse – Peter Weiss „Verehrter großer Zauberer“ Briefwechsel, 249 Seiten, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-42036-2

Zitat der Woche

„Der Reiche könnte wohl, aber er kann nicht.“

Aus Hermann Hesses Betrachtung „Kleine Freuden“, 1899