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Die Geschichte von Hesses liebenswerten Vagabunden faszinierte die Zuschauer

Meldung vom 17.08.2012

Calw. Jetzt wissen die zahlreichen Besucher der Lesung „Hermann Hesse - Aus dem Leben des Gerbersauer Vagabunden Knulp“ genau, warum die lebensgroße Statue eines Landstreichers vor dem Calwer Sparkassengebäude steht und die Passanten freundlich betrachtet. Es ist Knulp,der liebenswerte Aussteiger aus der Gerbersauer Gesellschaft, der ein ungewöhnliches und doch erfülltes Leben hatte.   Um diesen Knulp,seine Entwicklung, sein scheinbares Scheitern und seine Lebensbilanz ging es am Freitagabend im Sparkassengebäude. Luise Wunderlich und Rudolf Guckelsberger lasen so exzellent, das den Hörern die mehr als zweistündige Veran- staltung am Ende viel zu schnell vergangen war. Nachdem im vorigen Jahr das Kapitel „Der Vorfrühling“ aus der Erzählung „Knulp“ gelesen worden war, hatte Hesse-Kenner Herbert Schnierle-Lutz den mit „Das Ende“ überschriebenen letzten Teil des Romans ausgewählt. Es war eine bewegende Geschichte, die den Besuchern des Abends sichtbar zu Herzen ging.     Knulp hat im Alter von 14 Jahren wegen der Liebe zu der etwas äl- teren Franziska die Lateinschule verlassen und ist in die Volksschule übergewechselt. Als er dann er- kennen muss, dass die glühend Geliebte nicht Wort hält und sich einen anderen Freund zulegt, gerät er aus der Bahn. „Seither habe ich manche Freunde und Bekannte und auch Liebschaften gehabt, aber ich habe nie mehr mich auf das Wort eines Menschen verlassen oder mich selbst durch ein Wort gebunden“. Mit diesen Worten beschreibt er den entscheidenden Bruch in seinem Leben. Als ihn später sein ehemaliger Klassenkamerad Dr. Machold wegen eines schlimmen Lungenleidens in das Gerbersauer Krankenhaus einweist, geht der Vagabund zwar in das heimatliche Schwarzwaldstädtchen, jedoch nicht ins Krankenhaus. Er besucht die Stätten seiner Kindheit, erfährt, dass Franziska nicht mehr lebt und hat schließlich keinen Lebenswillen mehr. Noch 14 Tage umstreift er ruhelos die Gegend um Gerbersau, sinniert über sein vermeintlich gescheitertes Leben, zieht Bilanz und führt philosophische Zwiegespräche mit Gott. Dieser sagt dem zunächst Unzufriedenen unter anderem:„Siehst du nicht, dass du deswegen ein Leichtfuß und Vagabund sein musstest, damit du überall ein Stück Kindertorheit und Kinderlachen hineintragen konntest?“ So getröstet kann Knulp schließlich, versöhnt mit seinem Schicksal, mit innerem Frieden sterben.     Die Wirkung der packenden Lebens- geschichte des Knulp auf die Zu- hörer wurde noch verstärkt, durch die ausdrucksstarken Stimmen sowie die lebendige Mimik der beiden Akteure bei der äußerst spannend gestalteten Lesung. Es schien mehrmals, als habe es vor großer Ergriffenheit den Zuhörern den Atem verschlagen. Der Text war geschickt in mehrere Abschnitte gegliedert, deren Zwischenräume Till Veeh und Alexander Lehner mit sehr abwechslungsreicher, stimmungsvoller und passender Gitarrenmusik bereicherten. „Das hat heute Abend meine Erwartungen noch bei weitem übertroffen“, konnte Schnierle-Lutz nach der bewegenden Veranstaltung sichtlich beeindruckt sagen und sprach damit vielen Besuchern des Abends aus dem Herzen. Bildtext: Die Lesung über Hesses liebenswerten Vagabunden Knulp hinterließ bei den Hörern eine tiefe Ergriffenheit.    Text und Bild: Bettina Bausch

Zitat der Woche

„Aus den eifrigsten Jungen werden die besten Alten und nicht aus denen, die schon in der Jugend wie Großväter tun.“

Aus Hesses Roman „Gertrud“, 1910