Die Kunst des Geschichtenerzählers
Meldung vom 07.08.2013


Hesse Stipendiat Catalin Dorian Florescu begeisterte bei Lesung in Calw. „Das Spannendste geschah bis 15, das war Rumänien; danach kam die Schweiz.“ Hesse Stipendiat Catalin Dorian Florescu umriss damit den literarischen Fundus, aus dem er als Wahlschweizer schöpft. Und die Besucher im völlig überfüllten Calwer Hesse-Museum lauschten bei feuchter Sommerhitze gebannt den Ausführungen des zum Entertainer geborenen Romanciers. „Was ist nur in Sie hineingefahren. Ich hab noch nie so viele von Ihnen gesehen“, rief Florescu kurz vor Beendigung seines dreimonatigen Aufenthalts in Calw aus. Der vielfach ausgezeichnete ehemalige Psychotherapeut war bereits der 47-ste Stipendiat der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, getragen von Sparkasse Pforzheim Calw und Südwestrundfunk. Aber wohl noch keiner seiner Vorgänger zog das Publikum so in seinen Bann. „Seine Werke zu lesen ist keine Arbeit, sondern spannendes, erkenntnisförderndes und anregendes Lesevergnügen“, hatte Hesse-Experte Herbert Schnierle-Lutz in seiner Einführung treffend analysiert. Wunderbar rhythmisch trug Florescu seine kraftvoll und sinnlich formulierten Sätze aus dem 2008 erschienenen Roman „Zaira“ und seinem Erfolgswerk „Jacob beschließt zu lieben“ von 2012 vor. Aber nicht minder beindruckend und die Zuhörer in seinen Erzählstrudel saugend sprach der studierte Psychologe über die Entstehung und das Wesen seiner meisterhaften Schöpfungen. Grundsätzlich mache er keinen Unterscheid zwischen schriftlicher und mündlicher Erzählung. Im Mittelpunkt stehe der Mensch, der „mit offenen Augen, offenen Sinnen, Ohren und mit Rückgrat Zeugnis ablegt.“ Gute Literatur, so postuliert Florescu, sei wie die Kunst eines orientalischen Geschichtenerzählers. „Ich werde bezahlt dafür, ein guter Lügner zu sein“, erklärt der Schriftsteller seinen freien Umgang mit dem Erzählmaterial, das er von seinen Rumänien-Besuchen nach Zürich mitbringt, wo er seit 1982 lebt. „Dieses Land empfängt mich jedes Mal neu, wie eine gute Mutter, und schenkt mir jedes Mal neue Geschichten“, erzählt der Autor. „Die Schweiz als angstfreier Raum, Rumänien als magische Mutter“ sind die Welten, aus denen Catalin Florescu schöpft. „Ich kann mir den Teufel in Rumänien besser vorstellen als in Zürich“, macht der Romancier dem Publikum deutlich. Gleichwohl durchzieht seine Bücher keineswegs jene Düsterkeit, die die Werke seiner Landsmännin Herta Müller kennzeichnet. Die Nobelpreisträgerin wurde übrigens ganz in der Nähe von Florescus Heimatstadt Timisoara geboren. „In Würde zu leben, zu überdauern, zu überleben“ sei das Bestreben seiner Romanfiguren, die stets eine Entsprechung in der Realität haben. So wurde dem temperamentvollen Erfolgsautor in Rumänien von einem blinden Masseur mit 30 000 Büchern berichtet. „Wenn solche Geschichten auf meinem Radar auftauchen, muss ich darüber schreiben, da kann ich gar nicht anders“, bekennt der Erzähler. Er sehe sich da in gewisser Weise in der Nachfolge des Weltenentdeckers Kolumbus. „In seltenen Momenten kann Literatur Bilder erzeugen – wie ein Kopfkino“, hat der freie Schriftsteller festgestellt. Dass diese Momente bei ihm selbst eher häufig sind, bewies Florescu mit seiner mitreißenden Lesung. „Haben Sie das Bild?“ fragte er das Publikum immer wieder schelmisch grinsend. Und als rechtzeitig zum ersten Satz der nächsten Erzählung – „In jedem Sturm steckt der Teufel“ – draußen ein Donnerschlag kracht, hat Catalin Dorian Florescu neben dem Calwer Publikum scheinbar auch die Elemente in seinen Bann gezogen. Text und Foto: Andreas Laich