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Hermann Hesse und der Pietismus: Prewo geht sein Thema ungewöhnlich an

Meldung vom 16.03.2012

Calw. Die pietistischen Wurzeln Hesses lieferten schon so manchem Leser seiner Bücher verschiedene Anhaltspunkte für Interpretationen. Auch Rainer Prewo setzte sich in seinem Vortrag "Hermann Hesse und der Pietismus" mit dieser Thematik auseinander. Nur mit Mühe und aus allen Ecken des Gebäudes herbei geschafften Stühlen gelang es den Organisatoren, die vielen Besucher unterzubringen. Sie erhielten bei dieser Gelegenheit einen ungewöhnlichen Zugang zu diesem Thema. Denn im Unterschied zu zahlreichen anderen Rezensenten konzentrierte sich der ehemalige Nagolder Oberbürgermeister dabei nicht auf die destruktiven Aspekte pietistischer Erziehung, die Hesse in seinen Werken verarbeitet haben soll. Der Autor hatte sich öfters ausgesprochen negativ über dieses Erziehungsprinzip geäußert. Demnach sollte der von Natur aus böse Wille gebrochen werden, um Erlösung zu erlangen. So betonte Prewo, er habe diese kritische Perspektive lediglich in Form von Autorenkommentaren in Hesses literarischen Ergüssen gefunden. Dies stellte er anhand seiner Lesart des Romans "Unterm Rad" plastisch dar. So zeigte Prewo, dass weder die Hauptfigur Hans Giebenrath noch Hesses Briefe oder spätere Erinnerungen über seine Schulzeit in Maulbronn, die die Inspiration für dieses Buch geliefert hatten, Hinweise auf übermäßige Unterdrückung des Willens lieferten. "Ich behaupte damit aber nicht, dass es in ›Unterm Rad‹ keine Schulkritik gibt", hob Prewo hervor. Abgesehen von den Autorenkommentaren fände sich aber lediglich eine Kritik des zu langweiligen, theoretischen Schulalltags durch Hermann Heilner, den Freund der Hauptfigur. Dieser stelle im Übrigen das Gegenstück Giebenraths dar, ein Beispiel an Selbstverwirklichung und somit der Inbegriff dessen, was die pietistische Pädagogik der zentralen These Prewos zufolge leistete: Einen Beitrag zur Entstehung geistiger Größen. Bei dieser Behauptung berief er sich auf die auffällige Häufung des Auftretens großer Literaten wie Goethe, Lessing oder Kant zu dieser Zeit und begründete diese Ansicht mit dem Argument, dass die durch den Pietismus entstandenen Neuerungen im Glauben erstmals den Menschen und dessen persönliches, direktes Verhältnis zu Gott und sich selbst in den Mittelpunkt gerückt habe. Dadurch sei eine von Staat und Kirche unabhängige Bewusst-Werdung des Ichs entstanden, die letztlich auch eine andere Ausrichtung künstlerischer Werke zur Folge gehabt habe. "Die Literatur ist der Spiegel dieser Entwicklung", unterstrich Prewo, "Hesse könnte ein Kronzeuge dafür sein." So behandle "Unterm Rad" das zentrale Anliegen des Pietismus, die selbstreflektierte Menschwerdung, die im Untergang oder der Erlösung münden könne. Quelle: Schwarzwälder Bote

Zitat der Woche

„Jeder strahlt sein Schicksal selber aus. Weisheit ist: es als Bild seiner selbst erkennen und nicht eine rohe ‚äußere’ Macht darin sehen.“

Aus einem Brief Hermann Hesses 1919