Hermann Hesses Calwer Großcousine Marlis Bodamer im 102. Lebensjahr verstorben
Meldung vom 05.05.2017


Wer Hermann-Hesse-Veranstaltungen in Calw besuchte, kannte sie. Bis ins hohe Alter versäumte sie kaum eine Veranstaltung, so wie sie auch am Klavier und der Geige bis in ihre letzten Wochen hinein täglich musizierte. Nun hat sich ein Vierteljahr vor ihrem 102. Geburtstag ihr so bewundernswert aktiver Lebenskreis geschlossen. Bis zuletzt verblüffte die Betagte Besucher durch ihre Agilität und ihr beneidenswertes Gedächtnis. Zu den Beeindruckten gehörten in den letzten 20 Jahren auch viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die als Hesse-Stipendiaten in Calw weilten und von ihr zu interessanten Gesprächen bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen in ihr Jugendstil-Haus eingeladen wurden Marie Luise „Marlis“ Bodamer wurde 1915 geboren. Ihre Mutter war Fanny Schiler, geborene Gundert (1890-1979), welche Hermann Hesses liebste Cousine war. Deren Vater war Friedrich Gundert , ein Bruder von Hermann Hesses Mutter. Er kommt als „Onkel Friedrich“ in Hesses autobiografisch motivierter Erzählung „Schön ist die Jugend“ vor. Der Ich- Erzähler lässt darin erkennen, dass er vor „Onkel Friedrich“ etwas Respekt hat, da dieser wegen einer zurückliegenden Sache nicht besonders gut auf ihn zu sprechen war. Diese Sache bestand darin, dass Onkel Friedrich Gundert 1892 den im Seminar entlaufenen Hermann Hesse in Kloster Maulbronn abholen hatte müssen, da sich seine Eltern dazu nervlich außerstande sahen. Mit Onkel Friedrichs jüngster Tochter Fanny verstand sich Hermann Hesse jedoch bestens. Es war die Musik, die sie verband und die in ihrem über 50 Jahre hinweg geführten Briefwechsel ein besonderes Thema war. Fanny hatte eine Musikausbildung und war eine ausgezeichnete Geigerin und Geigenlehrerin. Als Beispiel für ihre geistige Gemeinschaft, die in ihrem Briefwechsel zum Ausdruck kommt, sei hier ein Brief Hesses aus dem schicksalsträchtigen Jahr 1933 zitiert: „Liebe Fanny, Du hast mir einmal eine Bachplatte geschenkt; darauf ist der Choral ‚Ach bleib bei uns’. Der ist mir fast zur liebsten Musik der Welt geworden und passt in meine innersten und besten Besinnungen und Stimmungen. Es ist jetzt schwer zu leben, sehr schwer, aber diese Musik ist ewig.“ Fanny Schilers älteste Tochter Marie Luise, Marlis genannt, erbte die Musikalität ihrer Mutter und wurde Klavierlehrerin, was sie bis ins 85. Lebensjahr an der Calwer Musikschule und danach noch weiter privat ausübte. In den 1930er-Jahren fuhren Fanny und Marlis erstmals und in den 1950er-Jahren ein weiteres Mal zu Hermann Hesse ins Tessin nach Montagnola. Marlis, die ab 1941 durch Heirat Bodamer hieß, berichtete in ihren letzten 20 Lebensjahren immer wieder von diesen „Reisen zu Onkel Hermann“, wobei dies so viel Interesse erregte, dass beim ersten Mal die Veranstaltung vom zu kleinen Saal in die Calwer Stadtkirche verlegt werden musste. Mit Marlis Bodamer ist nun eine weitere der nur noch wenigen Personen verstorben, die noch persönliche Zeitzeugenschaft zum Leben Hermann Hesses hatten. Und mit ihr ist auch ein besonderes kleines „Hesse-Zentrum“ in Calw verschwunden, denn sowohl für Bruno Hesse, Heiner Hesse, Silver Hesse, Simon Hesse, Volker Michels und viele andere Hesse-Verwandte und mit seinem Werk Befasste ist das Haus von Marlis Bodamer der vertraute Anlaufpunkt in Calw gewesen. HSL