Hermann Hesses Verlag in Turbulenzen
Meldung vom 11.12.2012


Die Presse berichtete in den letzten Tagen, dass der Suhrkamp Verlag, der Hermann Hesses gesamtes Werk verlegt, in Gefahr stehe, auf gerichtlichem Wege aufgelöst zu werden. Ursache sind Streitigkeiten zwischen der Verlagsleitung um Ulla Unseld-Berkéwicz, die über die „Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung“ 61 Prozent an der Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG hält, und dem Hamburger Medienunternehmer Hans Barlach, der mit der „Medienholding AG Winterthur“ 39 Prozent besitzt.
Hans Barlach, ein Enkel des Bildhauers Ernst Barlach, wirft der Geschäftsführung des Verlags Unfähigkeit und Verfehlungen bei der Verlagsleitung vor und hat bei Gericht eine Enthebung der Geschäftsführung beantragt sowie die Auflösung des Verlags. Damit würde ggf. der Verlag zerschlagen, zu dessen Gründung Hermann Hesse 1950 maßgeblich beigetragen hat und der sich im Bereich der Literaturverlage eine herausragende Stellung in der deutschen und internationalen Verlagslandschaft erworben hat.
Hermann Hesse hatte 1950 Peter Suhrkamp vorgeschlagen, einen eigenen Verlag zu gründen, nachdem es im S. Fischer Verlag, in welchem Hesse seit 1904 publizierte, zu Zerwürfnissen zwischen dem Cheflektor Peter Suhrkamp und dem Verleger Gottfried Bermann-Fischer gekommen war. Peter Suhrkamp hatte den in Deutschland verbliebenen Teil des Fischer Verlags über die Zeit des Nationalsozialismus gebracht, nachdem der jüdischstämmige Gottfried Bermann-Fischer, der Schwiegersohn des Firmengründers Samuel Fischer, von den Nazis gezwungen worden war, mit einem Teil des Verlags 1936 ins Exil nach Österreich und 1938 weiter nach Schweden und die USA zu gehen. Nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ und der dadurch möglichen Rückkehr von Bermann-Fischer nach Deutschland wurde zunächst eine gemeinsame Verlagsführung mit Suhrkamp vereinbart, die aber 1949 in eine Krise kam durch unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der Verlagsausrichtung.
Als Peter Suhrkamp, der für Hesse zu einer wichtigen Bezugsperson geworden war, solchermaßen vor dem Aus im Verlag stand, schlug ihm Hesse 1950 vor, einen eigenen Verlag zu gründen, und besorgte ihm hierfür auch Kapital über langjährige Mäzene und Freunde von ihm, die Familie Bodmer aus Zürich sowie die Familie Reinhart in Winterthur mit ihrer weltweiten Handelsgesellschaft „Gebrüder Volkart GmbH“. 1951 wurde die Familie Reinhart über die von ihnen gegründete „Volkhart Stiftung“ Teilhaber am neu entstehenden Suhrkamp Verlag.
Bereits 1950 hatten Bermann-Fischer und Suhrkamp vor Gericht den Vergleich geschlossen, dass die Autoren selbst wählen können, ob sie beim Fischer Verlag bleiben oder zum Suhrkamp Verlag wechseln wollen. Von den befragten 48 Autoren entschieden sich 33 für Suhrkamp, darunter Hermann Hesse und Bertolt Brecht, die mit ihren Buchumsätzen bis heute absichern, dass der Suhrkamp Verlag ein vorbildliches Fördersystem für Gegenwartsautoren und ihr Werk aufzubauen vermochte.
Binnen zwei Jahrzehnten wurde Suhrkamp zum renommiertesten deutschen Literaturverlag. Hierzu trug auch Siegfried Unseld bei, der 1952 als Lektor in den Verlag eintrat und nach dem Tod Peter Suhrkamps 1959 die Verlagsleitung übernahm. Er wurde wie Peter Suhrkamp zu einem der bedeutenden Verleger, der durch neue Ideen, wie z.B. die Einführung der Taschenbuchreihen, den Verlag über vier Jahrzehnte hinweg erfolgreich weiterentwickelte.
Unseld starb 2002, worauf die Geschäftsführung an seine Witwe überging, die Schriftstellerin Ulla Berkéwicz. Aufgrund von Unstimmigkeiten trennte sich die Familie Reinhart 2006 von ihren Gesellschafteranteilen am Verlag, die daraufhin an die von Hans Barlach gegründete „Medienholding AG Winterthur“ übergingen. Auch zwischen diesem neuen Anteilsinhaber und der Geschäftsleitung des Verlages kam es bald zu Auseinandersetzungen, aus denen die nun anhängigen Gerichtsverfahren resultieren, die den Bestand des Verlages gefährden.
Im Sinne Hermann Hesses ist nur zu hoffen, dass der von ihm geförderte Verlag, der sein gesamtes Werk betreut, bestehen bleibt und sich bald wieder ganz seiner literaturkulturellen Aufgabe widmen kann, die ihn zu einem bedeutenden Baustein der Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland gemacht hat.
Text: Herbert Schnierle-Lutz