• Change Language:
  • English version is coming soon.

Hesse-Experte Bernhard Zeller: "Ein Rest Rätselhaftigkeit wird bleiben"

Meldung vom 14.07.2003

Eigentlich bekam die kleine Schar von Zuhörern im Georgenäum ein ganzes Bündel von Antworten zu hören, denn leicht zu fassen ist das "Phänomen Hesse", der weltweit meist übersetzte Schriftsteller nach den Gebrüdern Grimm mit einer Gesamtauflage von über 100 Millionen Büchern, selbst für einen wie Zeller nicht, der über den Calwer Dichter (1877-1962) eine viel beachtete Biografie schrieb und ihm in seiner Funktion als LEiter des Literaturarchivs Marbach mehrfach persönlich begegnetete.   "Das Bekenntnishafte seines Werkes mag zu den Ursachen gerechnet werden", so Zeller in seinem einstündigen Vortrag, den er im Rahmen des Calwer Kultursommers 2003 hielt. Hesse sei es über Generationen hinweg immer wieder gelungen, mit "Inhalt und Tendenz" seines Werkes den Nerv der Zeit zu treffen. Denn gerade die Jugend, so der 83-jährige, habe einen Sensus für die Glaubwürdikeit des Menschen hinter dem berühmten Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse, der trotz der vielen Brüche ein "Leben in tieferer innerer Konsequenz führte".   In den USA habe sich Hermann Hesse in den sechziger Jahren, bis dahin dort fast völlig unbekannt und in Europa zu dem Zeitpunkt fast vergessen, gar zum "Herold und Heros der Hippie-Generation" entwickelt. Die jugendlichen Rebellen hätten in Hesses Dichtung ihre eigenen Probleme, Träume und Sehnsüchte entdeckt und in dem deutschen Dichter einen Menschen erkannt, der es gewagt habe, "sich selbst zu leben". Der politische Protest gegen den Vietnamkrieg und das Establishment berief sich laut Zeller auf Hesses Friedensliebe sowie seine Zivilisationskritik und Skepsis gegenüber allen Herrschenden. Trotz aller Missverständnisse und Fehlinterpretationen habe Hesse einen großen Einfluß auf die gesellschaftliche Neuorientierung in den USA gehabt. "Das bestreiten selbst Kritiker nicht", sagte Zeller.   Neben der "besonderen Persönlichkeit" des Dichters zählt Bernhard Zeller auch die "leicht erfassbare sprachliche Form" zu den Hauptursachen der ungeheuren Hesse-Popularität, die seit dem amerikanischen Hesse-Boom weltweit, vor allem auch in Asien, anhält. "Offen Probleme auszusprechen" und gleichzeitig "schwierige Dinge einfach darzustellen": Das ist laut Bernhard Zeller die Erfolgsformel, die dem Calwer nicht nur literarischen Ruhm einbrachte, sondern ihn auch zu einem "Beichtvater und Seelsorger" für Millionen Menschen in allen Kulturkreisen machte. Dennoch musste selbst der Hesse-Experte einräumen: "Ein Rest der Rätselhaftigkeit wird bleiben".

Zitat der Woche

„Oft ist die Welt schlecht gescholten worden, weil der, der sie schalt, schlecht geschlafen oder zu viel gegessen hatte.“

Aus Hermann Hesses Essay „Zarathustras Wiederkehr“, 1919