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Hesse im Spiegel zweier Biographen: Lebensbeschreibungen und Werkdeutungen des Calwer Literaturnobelpreisträgers durch Hugo Ball und Michael Limberg

Meldung vom 09.07.2007

CALW. Eine Biographie schreiben heißt vorderhand, das Leben eines Menschen zu keltern. Doch so wie Kunst und Ausleseverfahren eines Kellermeister aus dem Traubensaft jeweils einen Wein ganz spezieller Geschmacksausprägung entstehen lassen, so behandeln auch Biographen ihr Ausgangsmaterial in ganz unterschiedlicher Weise. Die Kernfrage bleibt immer, wie und mit welchen sprachlichen Mitteln ein Lebensabriss gestaltet wird, insbesondere wenn es sich dabei um einen Schriftsteller, gar einen Dichter wie Hermann Hesse handelt. Generell haben nur wenige Biographie- Verfasser genuin literarische Größe, so wie Balzac über Katharina von Medici, der mit Hesse befreundete Stefan Zweig über Marie Antoinette und Joseph Fouché, oder der amerikanische Romancier Edmund White über Jean Genet.

Nun sind zwar sind Leben und Werk des Calwer Literaturnobelpreisträgers schon mannigfach gedeutet worden, doch verdienen zwei Biographien besondere Aufmerksamkeit. Die erste stammt aus der Feder von Hugo Ball, der nicht nur mit Hesse befreundet war, sondern selbst als Autor und Mitbegründer der Dada-Bewegung in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Sein sprachlich virtuoses Lebensbild von Hesse und die nicht minder facettenreiche Werkdeutung hat Ball 1927 zum 50. Geburtstag des Dichters vorgelegt. Genau zu der Zeit, als gerade der „Steppenwolf“ erschienen war, über den Ball befindet: „Es gibt neben dem Idylliker und Asketen einen robusten, veitstänzerischen, flagellantischen Hesse“. Immer wieder verblüffend ist, mit welcher psychologischen Hellsicht der Dichter Ball der Persönlichkeitsstruktur des Dichters Hesse nahe kommt. So deckt Ball bei Hesse auf „ ein nach innen gewandtes Begehren und Sehnen, das in die sichtbare Welt schwer überzuleiten, das schwer zu erlösen ist. Bis zum Wahn und zur Selbstauflösung füllt es die inneren Räume.“ Ball fährt fort und liefert damit auch einen Schlüssel für den Pazifismus, der Hesse immer wieder mal, teils in ordinär grober Form, angekreidet worden ist: „Dieser Zug geht bei ihm bis zur striktesten Ablehnung der werbenden Außenwelt; bis zur Selbstmordneigung und zum Aufsichnehmen der Neurose. Derselbe Charakter aber ist es, der gegen die öffentliche Meinung während des Krieges auftrat.“ Gemeint ist damit der 1. Weltkrieg und die deutschnationale Pressekampagne, die gegen Hesse entfesselt worden ist.

Jetzt hat der Wallstein Verlag im Rahmen der Ball-Gesamtausgabe diese Hesse-Biographie wieder ediert, sehr schön aufgemacht in burgunderrotem Leinen, herausgegeben und mit einem klugen Nachwort versehen von Volker Michels, angereichert mit ausgesprochen lesenswerten Rezensionen, unter anderem von Tucholsky und Hermann Kasack.

Hat Ball bisweilen geradezu hymnische Dichterworte für seine Hesse-Würdigung gewählt, so geht der Hesse-Bibliograph Michael Limberg einen ganz anderen Weg.

Eher nüchtern, faktenreich und sprachlich straff ist die empfehlenswerte Bestandsaufnahme von Hesses Leben gestaltet, ebenso wie die angenehm ideologiefrei und kurz gefasste Darstellung fast sämtlicher Hesse-Werke. Sogar zu dem gewiss nicht leicht zu konsumierenden, intellektuell variantenreichen „Glasperlenspiel“ verschafft Limberg auf vier Druckseiten einen guten ersten Zugang. Dieses im Rahmen der „Suhrkamp Basisbibliographien“ erschienene und zudem recht preisgünstige Taschenbuch eignet sich hervorragend, um sich rasch und umfassend über Hesse zu informieren. Das gilt sowohl für diejenigen, die aus literarischer Neugier einen Zugang zu Hesse suchen, als auch insbesondere für Lehrer und Schüler, die sich im Unterricht mit dem Autor beschäftigen müssen.

Mit der Eingangsfeststellung „Hermann Hesse polarisiert. Das war schon zu seinen Lebzeiten so, und daran hat sich auch in den Jahrzehnten nach seinem Tod wenig geändert“ gibt Limberg zusätzlich einen knappen Abriss der Wirkungsgeschichte in musikalischer, sprachlicher, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht. Limberg, der sich als wissenschaftlicher Koordinator der Internationalen Hesse-Kolloquien in Calw und die Herausgabe der Kolloquienbände in Fachkreisen manches Verdienst erworben hat, pflegt in dem mit zahlreichen Schwarz-Weiss-Bildern komplettierten Bändchen kein nostalgisch verzücktes, gar esoterisch schräg gezeichnetes Hesse-Bild, sondern kristallisiert einen Autor heraus, der durch die Zeitlosigkeit seines Schreibens stets aktuell bleibt.

Sebastian Giebenrath

Zitat der Woche

„Was des einen Mensch Schatz und Weisheit ist, klingt den andern immer wie Narrheit.“

Aus Hermann Hesses Erzählung „Die Morgenlandfahrt“, 1930/31