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Hesse Stipendiat Bodo Hell fordert seine Zuhörer

Meldung vom 29.04.2005

Und wahrlich niemand wird sein Kommen bereut haben. Wenngleich die Dichtkunst des Österreichers dem Zuhörer einiges abfordert und kaum Zeit zum Nachdenken lässt. Denn Hell's Wortspiele dringen bisweilen wie Maschinengewehrsalven ins Ohr. Der Stipendiat der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, getragen von SüdwestRundfunk und der Sparkasse Pforzheim Calw, trug aus seinem 2003 im Literaturverlag Droschl Graz-Wien erschienenen Buch "Tracht: Pflicht - Lese- und Sprechtexte" vor. Dessen Klappentext erhellt des Autors Arbeitsweise und die Wirkung seiner Texte auf den (aufnahmefähigen) Leser: "Wie im Wort "Tracht" das fleißig eingeheimste der Bienen genauso wie eine Tracht Prügel mitschwingt und wie in der "Pflicht" zur Tracht eo ipso der Widerstand gegen die unbefragt konventionelle Form mit angestachelt wird, so sind hier die Fundstücke aus der Natur- und Medienwelt zu Sprach- und Sprechkonvoluten gesammelt, nämlich in einer Art TextWabenstock aufgehoben. Durch die elaborierte Technik des Vorführens, Verschneidens und Montierens schlägt der uns allen bekannte unheimliche Sprachgebrauch auf die Intention der Verwendung zurück (Meduseneffekt) und läßt die klischierten Sprech- und Werthaltungen mitunter in verbalen Brillantfeuerwerken zerstieben, die vor dem Leser und vor der Hörerin in den jeweiligen Text- und Kopflandschaften niedergehen." Bodo Hell, im Rhythmus der Jahreszeiten abwechselnd in Wien und als Senner auf einer Alm am Dachstein lebend, trägt seine oft collagenartig montierten Texte in meisterhafter Manier vor. Jedes auch noch so schnell gelesene Wort ist zu verstehen. Und des Autors nahe liegende Naturverbundenheit lässt ihn sachbuchhaft anmutende Kapitel wie jenes mit "einschlägige Erfahrung" betitelte über den Blitz schaffen. Sprachgewaltig und voll spitzbübischem Witz werden hier Informationen und eigene Erfahrungen scheinbar wahllos aneinander gereiht und ergeben doch ein zusammenhängendes Bild. Kostprobe: "angeblich schlägt der Blitz nie in rechtsdrehende Bäume ein (die Fichte etwa wächst jung links- und alt rechtsdrehend, was uns keine weiteren Spekulationen in Bezug auf Menschenleben bieten soll). Frage: was bleibt über, wenn ein Hochstand vom Blitz getroffen wird. Antwort: die Gamsbarthülse und der Subaru-Schlüssel." An anderer Stelle wagt Bodo Hell eine ebenso gewagten wie amüsanten Zusammenhang zwischen musiktheoretischen Überlegungen und dem Aufbau des menschlichen Körpers herzustellen. Und der gelernte Organist und Absolvent des Mozarteums in seiner Geburtsstadt Salzburg überzeugt auch hier mit überbordender und volle Konzentration fordernder Detailfülle. Kurzum: Wer bereit ist, sich auf diesen Sprachjongleur und Wortartisten einzulassen,der wird die Nachhaltigkeit Hell'scher Texte erfahren. Die Mühe lohnt und wird belohnt.

Zitat der Woche

„Oft ist die Welt schlecht gescholten worden, weil der, der sie schalt, schlecht geschlafen oder zu viel gegessen hatte.“

Aus Hermann Hesses Essay „Zarathustras Wiederkehr“, 1919