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Hesse-Stipendiat Hürlimann verabschiedet sich aus Calw

Meldung vom 20.04.2011

„Da wo man das Brot gerne ißt, da ist eine Form von Heimat.“ Hesse-Stipendiat Thomas Hürlimann machte seiner vorübergehenden Heimatstadt Calw zum Ende seines Aufenthaltes einmal mehr ein Kompliment. Im vollbesetzten Saal des Hesse-Museums las der Wahlberliner aus der Novelle „Dämmerschleier und zog das Publikum humorvoll wie sprachgewandt in seinen Bann. Der Eidgenosse ist bereits der 40. Stipendiat der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, getragen von Sparkasse Pforzheim Calw und SüdwestRundfunk. Kunsthistorikerin Susanne Völker führte in Leben und Werk des vielfach ausgezeichneten Autors ein. Und Herbert Schnierle-Lutz führte gewohnt souverän das Gespräch mit dem Autor, der bekannte, „in pubertären Zeiten Hesse verfallen gewesen zu sein. In Calw nun habe er vor allem die frühen Werke des Nobelpreisträgers wie „Gerbersau“ für sich neu entdeckt. Und eine weitere „Entdeckung“ machte Thomas Hürlimann am alten Calwer Bahnhof, der ihm seltsam bekannt vorkam. Es dauerte, bis er in dem Bauwerk „seinen“ Kibri-Bahnhof von der Modelleisenbahn erkannte. „Das, was jetzt kommt, ist alles wahr“, leitete der lebhaft mit sympathischem schweizerischem Akzent Vortragende seine Lesung ein. In der Novelle aus „Dämmerschoppen“ steht Gottfried Keller, der unter falschem Namen in einem Grandhotel am Vierwaldstätter See abgestiegen ist, im Mittelpunkt. So hofft er den Ehrungen zum 70. Geburtstag zu entgehen – vergebens, wie sich bald erweist. Amüsant und eindrücklich schilderte Hürlimann die Begebenheit, gibt vor allem dem Dialog mit dem ignoranten Kellner „Herr Wendelin“ breiten Raum. Der nämlich hät Kellers Dichtung für „lyrisches Geflitter von Gestern“, und sagt dies dem unerkannten Gast auch ins Gesicht. Als er seinen Irrtum viel zu spät erkennt, „erdreistet“ er sich, „die verlogenen Zeiten in falschen Sätzen zu loben“, wie Keller seinen Groll im Geist formuliert. „Der Vogel hatte ihn zwar gestreift, doch nicht gepackt“, deutet Hürlimann wiederkehrende Schwermutsanfälle des Nationaldichters an. „Die literarische Welt hatte sich entschlossen, ihn nur als Novellenheini zu sehen“, benennt der Hesse-Stipendiat Kellers Kummer. Und er lässt ihn schließlich resümieren: „In meinen Gestalten war jenes Leben, von dem ich selbst entfernt war.“ Thomas Hürlimanns ganz eigener Humor durchzieht diese meisterhafte Novelle, die letztlich auch eine Verbeugung vor der Meisterschaft Gottfried Kellers ist. Seine spezielle Beziehung zu Keller beleuchtete Hürlimann abschließend in einer autobiografischen Kurzgeschichte. Als ihm die Lebensgefährtin eröffnet, „zwischen uns ist es aus“, rettet schlussendlich ein Text Kellers die Beziehung. Um zu lernen hatte Hürlimann in der Nacht eine Passage aus dem Werk des Dichters, die ihn zu Tränen gerührt hatte, auf der Schreibmaschine abgetippt. Dieses Blatt findet und liest nun die Gefährtin, wendet sich ihm dann mit tränennassem Gesicht zu und sagt: „Du bist zwar ein A… aber schreiben kannst du.“ Text und Foto: Andreas LaichRedaktion: Pressebüro et cetera

Zitat der Woche

„Der Reiche könnte wohl, aber er kann nicht.“

Aus Hermann Hesses Betrachtung „Kleine Freuden“, 1899