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Hesse-Stipendiat Utz Rachowski las im Calwer Hesse-Museum

Meldung vom 30.05.2008

„Der metallische Klang einer Kindheit, die ins Schloss fiel.“ Utz Rachowskis Sprachbilder zeichnen in bestechender Klarheit Kindheitserinnerungen nach – und die Besucher im Calwer Hesse-Museum lauschen konzentriert. Zum Ausklang seines Calw Aufenthaltes noch bis Ende April las der Stipendiat der Calwer Hermann Hesse Stiftung, getragen von Sparkasse Pforzheim Calw und SWR. Die erfreulich zahlreichen Besucher der gemeinsam von VHS und Stadt veranstalteten Lesung erlebten kurzweilige 90 Minuten und einer humorvollen Autor.   „Der letzte Tag der Kindheit“ aus dem Erzählband „Namenlose“ steht im Mittelpunkt der Lesung des Autors aus Reichenbach im Vogtland. Dieser letzte Kindheitstag war für ihn der 20. August 1968, an dem 500 000 Soldaten die Grenze zur Tschechoslowakei überschritten. Mit 14 wird Utz Zeuge des Anfangs vom Ende des Prager Frühlings. „Kindheit ist eine Zeit ohne inneres Maß“, resümiert er heute. Seine Erinnerungen kreisen ums Haus der Großmutter, ihre „unklaren Geschichten“, wenn zu viele Details unerwünscht waren. „Da war ich noch ein junges Mädchen“, hatte die Oma oft entschuldigend angemerkt – eine Reaktion, die einem bekannt vorkommt. Rachowskis präzise, farbig-rhythmische Sprache nimmt die Zuhörer gefangen, ruft eigene Kindheitserinnerungen wach.   Besonders aufschlussreich dann ein Text, der 1980 nach der Freikauf aus DDR-Haft in West-Berlin entstanden ist. „Ich war dagegen, das vorzulesen“, bekennt der Bürgerberater von Stasi- und SED-Opfern, der heute wieder im heimischen Reichenbach lebt. „Wenn ich das in Dresden machen würde, würden die Leute gähnend rauslaufen“, schiebt er erklärend nach. „Sie haben uns aus dem Leben entfernt, aber wie leben noch und versuchen zu begreifen“, beschreibt Rachowski. Und dass er sich in Berlin wie ein Tourist gefühlt habe, nach zwei drei Jahren aber auch enttäuscht, sich mit Altersgenossen nicht unterhalten zu können. Er sei „eher von Leuten verstanden worden, die mal im Exil waren.“ Zurück in Reichenbach habe sich dann „kaum eine alte Freundschaft wieder rekonstruieren lassen.“   Schließlich Auszüge aus einem erst als „Rohmaterial“ vorliegenden Text über Calw, in dem er hauptsächlich sich „in dieser Stadt beschrieben“ habe. In „Calwer Unschärferelation“ erinnert sich Utz Rachowski dankbar an die Einladung bei „der Tochter der Lieblingsnichte von Hesse“ – Marlies Bodamer. „Ich darf rauchen am Teetisch, in einem Land, in dem man nicht mehr rauchen darf.“ Im Hesse-Museum nutzt er dieses Angebot zur Erleichterung der Zuhörer-Mehrheit indes nicht. Warum die meisten Häuser hier an den Hang gebaut seien, und auch seltsamerweise noch an den, der meist im Schatten liegt, habe ihm erst Herbert Schnierle-Lutz beantworten können. Calw übrigens empfindet der Hesse-Stipendiat als „unverwechselbar, als urbane Erscheinung sowieso.“

Zitat der Woche

„Der Reiche könnte wohl, aber er kann nicht.“

Aus Hermann Hesses Betrachtung „Kleine Freuden“, 1899