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Hesse-Stipendiat Uwe Kolbe zog Calwer Publikum in seinen Bann

Meldung vom 19.07.2011

Auch wenn er bekennt, „ich fliehe Calw immer wieder und meist zu Fuß“, fühlt sich Hesse-Stipendiat Uwe Kolbe in der Stadt wohl. „Bei Schabers ist’s leicht, zuhause zu sein“, lobt der in Berlin lebende freie Autor, der vor allem als Lyriker bekannt ist. „Klang, Rhythmus, Kammermusik“ kennzeichnen nicht nur nach eigener Einschätzung seine Dichtung. Bei einer Lesung im Hesse-Museum zog der 54-Jährige so ein literaturinteressiertes Publikum in seinen Bann. Nach der gewohnt präzisen Vorstellung durch Kunsthistorikerin Susanne Völker moderierte Herbert Schnierle-Lutz das Gespräch mit dem vielfach ausgezeichneten Gast. Ob er sich denn vorstellen könne, längerfristig in Calw zu leben, wollte Hesse-Experte Schnierle-Lutz wissen. Und Kolbe entgegnete schlagfertig: „Das käme auf die Konditionen an.“ Auch wenn er fünf Jahre in Tübingen verbracht habe (als Leiter des legendären ‚Studio für Literatur und Theater’), sei das „von hier aus sehr woanders“, formulierte der Lyriker, Essayist und Übersetzer. Calw komme ihm international vor, beschrieb Kolbe seine Eindrücke von der morgendlichen Stadtrunde, wenn er Wortfetzen aus vielerlei Sprachen aufschnappe. In seinem Berliner Heimatbezirk „Charlottengrad“ sei hingegen überwiegend russisch zu vernehmen. Und noch eine Beobachtung hat Kolbe in der „Provinz“ gemacht: „Man staunt, wie viel Weltliteratur angebunden ist an ziemlich kleine Orte.“ Immer wieder umkreiste das im Plauderton geführte Gespräch naturgemäß das Thema DDR und den Heimatbegriff. 1985 konnte Uwe Kolbe die „erste ernsthafte Reise Richtung Westen“ unternehmen. „Die Schweiz war etwas Raunendes, weit weg. Ich dachte, auf der anderen Seite (der Alpen) scheint die Sonne woanders her, das war richtig schräg.“ Da sei ihm klar geworden, erinnert sich der Hesse-Stipendiat im O-Ton: „Ihr Schweine wolltet, dass ich das nie im Leben sehe.“ Erst nach der Übersiedlung nach Hamburg 1987 sei er „in Deutschland angekommen.“ Der auch als Garcia Lorca-Übersetzer gefeierte Autor ist überzeugt, „mit meiner Generation stirbt das Thema ‚Heimat’ aus.“ Allein die Geschichte der Teilung Studenten zu erzählen werde heute „schon zum Kraftakt.“ In den 70er- und 80er-Jahren hat der Familienvater die DDR als Feudalsystem erlebt unter dem Motto „teile und herrsche.“ Dass er selbst weitgehend unbehelligt blieb erklärt er sich uneitel: „Den einen Gedichte schreibenden Heini leisten wir uns“. Den atmosphärischen Unterschied zu einem freien Gemeinwesen bringt Uwe Kolbe eindrücklich auf den Punkt: „In so einer abgeschlossen Gesellschaft steht ja die Zeit.“ Die von Thomas Vogel bei der festlichen Begrüßung in der Kundehalle der Sparkasse, die die Stiftung neben dem SWR trägt, aufgeworfene Frage konnte Kolbe nicht eindeutig beantworten. Warum er Dichter geworden sei? „Ich kann einfach nix Anderes“, meinte der authentisch wirkende Literat fast entschuldigend. Mit 14 habe er angefangen zu schreiben und vom Stiefvater nur die tröstenden Worte vernommen: „Das geht vorbei.“ Auf eine unerfüllte Jugendliebe anspielend, vermutet Kolbe: „Vielleicht wird man Dichter, wenn man nicht erhört wird.“ So wie die Muschel um das störende Sandkorn eine Perle baue, so entstehe letztlich auch Lyrik. Zum Beruf indes werde Dichtung erst dann, „wenn’s zum ersten mal richtig stockt.“ Die verbreitet Scheu vor dem Gedicht – einige meisterhafte Kostproben hatte er zuvor gleichsam in musikalischem Ton vorgetragen – ist dem Autor weitgehend unverständlich. Man brauche einfach nur offene Ohren im Umgang mit Lyrik. „Wenn ich zulasse, dass meine eigene Erfahrung mit dem korrespondiert, was mit entgegen kommt“, sind Gedichte nach Kolbes Erfahrung nicht „schwierig“. „Niemand hat einen Sachverhalt, tut ihn in eine komplizierte Struktur und macht ein Gedicht daraus“, widersprach Uwe Kolbe einem hartnäckigen Vorurteil. Ganz im Gegenteil: „Ein Gedicht ist eine Form der Klärung.“ Text und Foto: Andreas Laicheditiert: Pressbüro et cetera  

Zitat der Woche

„Der Reiche könnte wohl, aber er kann nicht.“

Aus Hermann Hesses Betrachtung „Kleine Freuden“, 1899