• Change Language:
  • English version is coming soon.

In Calw „wunderbar umsorgt und verstanden“

Meldung vom 06.11.2012

"Das wunderbare umsorgt und verstanden werden“ schätzt Hesse-Stipendiat Ulrich Schacht in Calw besonders. Deshalb hätte er es „hier durchaus noch länger aushalten können“, bekannte der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller eingangs seiner Lesung im enorm gut besuchten Hesse-Museum. Bei Schachts Vortrag aus „Vereister Sommer. Auf der Suche nach meinem russischen Vater“ hätte man fast eine Stecknadel fallen hören können.   Der Hesse-Stipendiat erinnerte sich im von Herbert Schnierle-Lutz gewohnt souverän moderierten Gespräch, wie die Mutter ihm erstmals vom russischen Vater erzählte. Der damals zehnjährige Ulrich empfand die Nachricht im Rückblick als „exotisch“, Mutters Berichte aus dem „Besserungsarbeitslager“ – wo er zur Welt gekommen war – nicht abschreckend, „sondern spannend.“ Nachdem die Heirat der Eltern von Staats wegen unterbunden worden und die deshalb gehegten Fluchtpläne in den Westen 1950 aufgeflogen waren, mussten beide in der jeweiligen Heimat langjährige Haftstrafen antreten. „Ich konnte meiner Mutter nie übersetzen, dass es einen Unterschied zwischen der Sowjetunion und Russland gibt“, machte Schacht im Hesse-Museum deutlich.   Die Lesung aus „Vereister Sommer“ offenbarte dann die ganze Sprachmächtigkeit des in Schweden lebenden Autors. Das Buch umkreist den 4. April 1999, jenen Tag, an dem Ulrich Schacht nach langer Suche erstmals in Russland seinem Vater begegnet, und macht das Geschehen durch häufige Rückblenden begreiflich. Trotz Erkältung trug der Publizist seinen wunderbar rhythmisierten Text den gebannt lauschenden Besuchern mit hörbuchgeeigneter Stimme vor. Und auch der Lyriker Schacht – „der gute Hermann hat ja auch jede Menge Gedichte geschrieben“ – kam an diesem Vormittag nicht zu kurz. Welche Kraftquelle die „nördliche Wüste“ sein kann machten seine Verse aus „Bell Island im Eismeer“ deutlich. Als wollte das Wetter die Wirkung der bildgewaltigen, bewundernswert klar gehaltenen, an Metaphern reichen Dichtung unterstreichen, jagten draußen Regenschauer durch die Gassen. Polare Erfahrungen des Autors sind in seinen Versen zu spüren. Skandinavien-Liebhaber werden wissen, was gemeint ist.   „Mit 13“, erzählte der Autor von seinen schriftstellerischen Anfängen, „war mir so und ich schrieb meinen ersten Text.“ Für „das bewusste Schreiben“ sei es wohl zu früh gewesen. Erst Jahre später sei er „auf eine andere Ebene des schöpferischen Umgangs mit Texten gekommen.“   Sein politisches Erwachen bewirkte dann der Prager Frühling – „ein unglaublich essentielles Gefühl der Freiheit“ – vor allem aber dessen brutale Niederschlagung durch sowjetische Truppen. Diese und die Erfahrungen seiner Jugend haben Ulrich Schacht zum Kämpfer für die Meinungsfreiheit gemacht, der seine Ansichten auch da freimütig äußert, wo sie nicht immer gern gelitten sind. Nie habe er verstehen können, wie Studenten im Westen „die Massenmörder des 20-sten Jahrhunderts“ wie Mao in den 70-ern zu Idolen erheben konnten.   Auf seinem schwedischen Hof mit sechs Hektar Wald und Blick auf das Kattegat konzentriert sich der studierte Theologe heute freilich ganz aufs Schreiben, wobei er die klare Meinungsäußerung noch immer nicht scheut.   Text und Fotos:Andreas Laich  eingestellt von: Pressebüro et cetera    

Zitat der Woche

„Aus den eifrigsten Jungen werden die besten Alten und nicht aus denen, die schon in der Jugend wie Großväter tun.“

Aus Hesses Roman „Gertrud“, 1910