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Internationaler Hermann-Hesse-Preis an Joanna Bator und Esther Kinsky verliehen

Meldung vom 04.07.2018

„Beide, Joanna Bator und Esther Kinsky, sind Sprachkünstlerinnen. Und gerade deshalb bilden Sie ein so herausragendes Team.“ Laudatorin Prof. Dr. Schamma Schahadat brachte auf den Punkt, was die Preisträgerinnen des Internationalen Hermann-Hesse-Preises 2018 auszeichnet. Im Kursaal Hirsau haben die polnische Schriftstellerin und ihre deutschen Übersetzerin in einer festlichen Veranstaltung die mit 20 000 Euro dotierte Auszeichnung erhalten. Der Preis der von Kreissparkasse Calw und Südwestfunk Baden Baden 1989 gegründeten Stiftung wurde bereits zum 15. Mal verliehen.   „Ein sprachlich höchst komplexer polnischer Roman mit Sätzen, die gleichermaßen poetisch wie ironisch sind und bei denen man streckenweise außer Atem gerät, wenn man ihren Windungen folgt, auf der einen Seite. Eine großartige Übersetzung dieses komplexen polnischen Originals ins Deutsche, ein eigener, neuer Text auf der anderen Seite.“ Eindrücklich machte Schamma Schahadat die Leistungen von Autorin und Übersetzerin deutlich. So werde auch jenen, die kein Polnisch können, ein „nostalgisch und zugleich komisch gebrochener Blick“ auf eine Zeit ermöglicht, die „gerade erst vorbei zu sein scheint und doch Lichtjahre her ist.“   Nach der offiziellen Preisverleihung durch Stiftungsvorsitzenden Dr. Andreas Narr schloss Joanna Bator, die in Japan und Polen lebt, ihre in Englisch gehaltene Dankesrede mit einem Appell. „Ich hoffe, dass in diesen dunklen Zeiten, in denen Mauern zwischen den Nationen errichtet werden, Autoren und Übersetzer zusammenarbeiten werden, um die grenzüberschreitende Kraft der Literatur zu stärken.“   Preis der Leipziger Buchmesse Esther Kinsky war 2016 bereits Stipendiatin der Hesse-Stiftung und erhielt in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse für ihr Werk „Hain: Geländeroman“. Die vielfach ausgezeichnete Autorin bekannte in ihrer Dankesrede, Hesses „schönen, regions- und kindheitsbezogenen Texten“ mehr zugetan zu sein als seinem in Nordamerika so verehrten „Steppenwolf“. Denn „erst in der Hinwendung zum Besonderen, seine Betrachtung und Beschreibung und Durchdringung kann sich das Allgemeine und Universale entfalten“, formulierte Esther Kinsky. Das gelte auch für die beiden Romane von Joana Bator, „Sandberg“ und „Wolkenfern“, „die eine Welt eröffnen, die ganz besonders ist und dennoch universal zu verstehen.“ Der „Umgang mit dem Besonderen und Allgemeinen, die Aufgabe, dieses Gleichgewicht in einer anderen Sprache zu erhalten“, mache eine Übersetzung immer zu einer Herausforderung, machte die abwechselnd in Berlin und im ungarischen Bottonja lebende Preisträgerin deutlich. Beim Schreiben wie beim Übersetzen geht es Esther Kinsky jedoch „weniger um das Was eines Inhalts als um das Wie, nicht nur um den Text, sondern auch um die Textur, um den Umgang mit dem Metrial der Sprache, dieses Gewebe aus Notationen und Konnotationen, das es in eine andere Sprachtextur zu transportieren gilt.“ Und die Hesse-Preisträgerin bekannte: „Es war für mich eine Ehre und eine Freude, diese Texte und Texturen übertragen und meine eigene Sprache dafür finden zu dürfen.“   Meisterschaft der Übertragung Eine polnisch-deutsche Lesung aus Joana Bators „Sandberg“, eine heruntergekommene Plattenbausiedlung am Rande einer Kleinstadt, machte die klangliche Schönheit des Originals deutlich. Und ließ die Meisterschaft der Übertragung ins Deutsche erahnen: „Deshalb rutschten die Leute auf den Knien und gruben in der Hoffnung, dass sie hier zum Trost für das, was sie zurücklassen mussten oder nie besessen hatten, etwas anderes ausgraben, sich zu etwas anderem durchgraben würden, was ihnen helfen konnte, auf die Beine zu kommen.“ Anstelle des verstorbenen Kuratoriums-Vorsitzenden Friedrich Herzog von Württemberg, dem eingangs in einer Schweigeminute gedacht wurde, oblag Stellvertreter Prof. Dr. Engler das Schlusswort. Er freue sich sehr, dass auch der diesjährige Preis – ganz im Sinne Hermann Hesses – zur Förderung der Internationalen Verständigung beigetragen habe: „Gerade in der heutigen Zeit kann die Bedeutung des offenen Dialogs und des Austauschs über oft auch nur vermeintliche Grenzen hinweg nicht genug betont werden.“   Aktuell wirkendes Hesse-Zitat Diesen Ton hatte Stiftungsvorsitzender Dr. Andreas Narr in seiner Begrüßung mit einem seltsam aktuell wirkenden Hesse-Zitat von 1946 bereits vorgegeben: „Zwei Geisteskrankheiten sind es meiner Meinung nach, denen wir den heutigen Zustand der Menschheit verdanken – der Größenwahn der Technik und der Größenwahn des Nationalismus.“ Und SWR2-Programmchef Dr. Wolfgang Gushurst hatte den Calwer Nobelpreisträger jungen Menschen als „hilfreichen Begleiter“ ans Herz gelegt, der es schaffe, „die Sehnsucht literarisch zu wecken.“   Musikalisch virtuos umrahmt wurde die Preisverleihung von Claudia Peter am Klavier mit Präludium und Fuge D-Dur aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ und Schuberts „Impromptu op. 142 Nr. 4 As-Dur“. Der Lesung vorausgegangen war das Stück „Daido“ von Paul Leenhouts, temperamentvoll interpretiert von Helen Buck (Blockflöte) und Helmut Rauscher an der Bassgitarre.   Text und Foto: Andreas Laich   (PBS)

Zitat der Woche

„Niemand träumt, was ihn nicht angeht.“

Aus Hermann Hesses Roman „Demian“, 1917