Klein aber fein: Das neue Hesse-Kabinett in Tübingen
Meldung vom 02.12.2013


„Hier atmet man das 19. Jahrhundert“, sagt Wiebke Ratzeburg, und das ist kein bisschen übertrieben. Bücher, Bücher, Bücher, wohin man auch blickt im neuen Hesse-Kabinett der Stadt Tübingen. Und unter den abgegriffenen und vergilbten Bänden im ehemaligen Lager des Antiquariates Heckenhauer am Tübinger Holzmarkt sind vermutlich nicht wenige, die schon Hermann Hesse in der Hand gehabt hatte – Ladenhüter schon damals, und bis heute nicht verkauft. Darunter viel theologische und juristische Fachliteratur. In einem Teil der Räume des Antiquariates Heckenhauer am Tübinger Holzmarkt ist vor etwa einem halben Jahr ein neuer literarischer Gedenkort für Hermann Hesse entstanden. Das kleine Kabinett im ersten Stock des Hauses birgt eine Ausstellung mit Dokumenten und Reproduktionen, die über Leben und Werk des Dichters, Nobelpreisträgers und meistgelesenen deutschsprachigen Autors des 20. Jahrhunderts Auskunft geben. Eine „kurze, aber entscheidende Lebensphase“, so die Leiterin des Stadtmuseums Tübingen, hat der 1877 in Calw geborene Dichter nämlich in der Universitätsstadt verbracht. Der gestrauchelte Maulbronn-Seminarist und gescheiterte Mechaniker-Lehrling kam 1895 als Buchhändlerlehrling zu Heckenhauer. „Erinnerungen an Tübingen sind mir immer willkommen“, meinte er später einmal. Die Zeit in der Universitätsstadt gilt heute als entscheidend für Hesses schriftstellerische Entwicklung und die Identitätsfindung des jungen Mannes. In der Stadt am Neckar entstanden erste literarische Gehversuche, so zum Beispiel „Romantische Lieder“ (1898). „Die Einrichtung des Hesse-Kabinetts war ein langer Prozess: Wie haben uns Gedanken gemacht, wie man es schafft, die Atmosphäre nicht zu stark zu beeinträchtigen“, so Museumsleiterin Wiebke Ratzeburg. Das scheint in der Tat gelungen zu sein. Gemütliche Sessel stehen zwischen alten Buchregalen und einer denkmalgeschützten schmiedeeisernen Wendeltreppe aus Hesses Zeit. Etwa zehn Menschen finden bequem Platz im Hesse-Kabinett. „Unser Ziel war es, einen Raum mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen, der die Beschäftigung mit Literatur und Büchern ermöglicht und den Besucher einlädt, sich Zeit zum Schmökern zu lassen“, sagt Kulturamtsleiterin Daniela Rathe, die den Umbau und die Einrichtung federführend begleitet hat. Mit hölzernen Texttafeln, die man wie ein aufgeschlagenes Buch in die Hand nehmen kann, können sich die Besucher buchstäblich durch die Tübinger Zeit des jungen Hermann Hesse schmökern. Das Haus Lange Gasse 2 mit dem über 185 Jahre altem Antiquariat liegt mitten in der Tübinger Altstadt und ist über den Holzmarkt zu erreichen. Im ersten Stock befindet sich das Hesse-Kabinett. Das 500 Jahre alte Haus ist ein eingetragenes Kulturdenkmal, das seit fast genauso langer Zeit mit Buch-Kultur und Literatur in Verbindung gebracht werden kann. Bereits 1596 richtete Erhard Cellius, Professor für lateinische Sprache und Dichtkunst, eine Druckwerkstatt im Haus ein. Im Zeitraum von 1600 bis 1625 erschienen bei Cellius 339 Druckwerke, zwei Drittel der gesamten Tübinger Buchproduktion dieser Zeit. 1823 eröffnet Johann Immanuel Heckenhauer ein Antiquariat im Haus, das bis heute besteht. Der Inhaber des Antiquariats Heckenhauer, Roger Sonnewald, sowie der Bauträger, die Pro Casa GmbH aus Esslingen, traten 2011 an die Universitätsstadt heran, um den Kauf einer Teilfläche im ersten Obergeschoss anzubieten. Da Tübingen über eine lange literarische Tradition verfügt und sehr viele Menschen schon jetzt das Antiquariat aufgrund der Verbindung zu Hermann Hesse aufsuchen, sah sich die Kulturverwaltung in der Pflicht, diesen einmaligen kulturhistorischen Gedenkort für Tübingen zu erhalten. Nur mit Hilfe von vielen Unterstützern und Partnern konnte die Errichtung des Hesse-Kabinetts ermöglicht werden. An der Gesamtsumme von 254.000 Euro beteiligte sich als Hauptsponsor die Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG. Weiterhin konnten die Kreissparkasse Tübingen, die Denkmalstiftung Baden-Württemberg, die Stadtwerke Tübingen, die Aicheler und Braun GmbH, die Firma Zeutschel GmbH, der Verein der Freunde der Tübinger Kultur e.V, der Rotary Club Reutlingen-Tübingen Süd, die Arbeitsstätte für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten (Marbach am Neckar), die Hermann-Gundert-Gesellschaft sowie viele private Spender, die nicht genannt werden wollen, gewonnen werden. ÖFFNUNGSZEITEN freitags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr Eintritt frei Führungen nach Vereinbarung Gruppenführung ab 40 Euro ADRESSE UND KONTAKT Hesse-Kabinett Tübingen Holzmarkt 5 72070 Tübingen Telefon 07071 204-1711 E-Mail stadtmuseum@tuebingen.de www.tuebingen.de/hesse Hier geht es zur Bildergalerie Hier geht es zum Video (Interview mit Wiebke Ratzeburg) Pressebüro etcetera