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Kongeniales Autor/Übersetzerin-Duo

Meldung vom 22.07.2022

Andreas Laich

Internationaler Hesse-Preis für Hakan Günday und Sabine Adatepe

Bereits zum 17. Mal wurde der mit 20.000 Euro dotierte Internationale Hermann-Hesse-Preis verliehen. Am 145. Geburtstag des in Calw geborenen Namensgebers erhielten der türkische Autor Hakan Günday und seine Übersetzerin Sabine Adatepe die bedeutende Auszeichnung zu gleichen Teilen. 1989 hatten die Kreissparkasse Calw und der Südwestfunk Baden-Baden – heute Südwestrundfunk und Sparkasse Pforzheim Calw – die Calwer Hermann-Hesse-Stiftung ins Leben gerufen.

Die Texte des 46-jährigen Autors „stellen den Menschen und seine schwierige Suche nach Identität und Menschlichkeit in einer durch und durch korrupten, repressiven, gewalttätigen Gesellschaft ins Zentrum.“ Professorin Dr. Regula Forster sprach in ihrer packenden Laudatio ganz betont das „Autor-Übersetzerin-Duo“ Günday/Adatepe an, deren gemeinsames Werk bisher drei Romane umfasst. „Extrem“, „Flucht“ und soeben „Verlust“ sind auf Deutsch erschienen.

Gündays Sprache sei „provokant und eindringlich, er zeichnet Bilder, die den Lesenden nahegehen, machte die Professorin für Islamische Geschichte und Kultur deutlich. Die „harte, brutale Sprache“ zwinge dazu, eigene Standpunkte zu hinterfragen. Und Sabine Adatepe gelinge es in ihren Übersetzungen, diese Sprache so umzusetzen, „dass man bei der Lektüre nicht mehr sagen kann, ob das nun das Original oder die Übersetzung sei.“ Und auf alle Fälle unter keinen Umständen das Buch aus der Hand legen wolle, „obwohl – oder gerade weil – die Texte verstören.“

Die hochkarätige Jury hob in ihrer Preisbegründung vor allem den Roman „Flucht“ hervor, der von Gewalt, Schuld, Ohnmacht, der dunklen Seite des Menschen aber auch der Hoffnung handelt. „Günday zwingt uns, sowohl das Dunkle in uns selbst als auch das Dunkle in der Gesellschaft in den Blick zu nehmen – und der große Verdienst von Adatepe ist, dass wir das auch auf Deutsch tun können, wie wenn wir das Türkische läsen“, attestierte Regula Forster. Die Laudatorin brachte ihre Hoffnung auf viele weitere gemeinsamen Werke der Preisträger zum Ausdruck – die uns veranlassen, nach unserer eigenen Menschlichkeit und unserer eigenen Identität zu fragen.“

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Calwer Hesse-Stiftung, Prof. Dr. Thomas Knubben, hatte die Festgäste im Kursaal Hirsau begrüßt. Und daran erinnert, dass Hermann Hesse selbst sich „zeitlebens gegen viele Widerstände mit allem Nachdruck“ für Frieden und Versöhnung eingesetzt hat. „Er wäre angesichts der aktuellen Lage zu Tode erschüttert“, mahnte Prof. Knubben. Mit Hakan Günday und Sabine Adatepe gehen die Auszeichnung an zwei Preisträger*innen, „die durch klare, kraftvolle Worte und deren gekonnte, ja brillante und sensible Übertragung vom Türkischen ins Deutsche den Blick richten auf gegenwärtige Spannungsverhältnisse und was sie mit den Menschen machen.“

Nach einem eloquenten Grußwort des Hausherrn, Oberbürgermeister Florian Kling der bereits erwähnten Laudatio und natürlich der feierlichen Preisübergabe dankte Hakan Günday für die renommierte Auszeichnung. Und ging elegant auf seine mutige Arbeit im Heimatland Türkei ein. „Wir alle wissen, dass da draußen eine große Welt ist, die darauf brennt, uns zu sagen, wer wir sind, und uns in der Identität einzusperren, die wir qua Geburt mitbringen; zu diesem Zweck übt sie alle möglichen Arten von Druck auf uns aus. Es ist ja viel einfacher, jemandem Angst zu verkaufen, der aus den Abendnachrichten erfährt, wer er ist, wen er lieben und wen er hassen soll. Die meist gehandelte Ware auf dieser Welt ist tatsächlich Angst. Denn wer einmal Angst gekauft hat, dem kann man anschließend auch alles andere verkaufen. Rassismus, Diskriminierung, Kriege, Vorurteile, was auch immer. Günday dankte seiner kongenialen Übersetzerin Sabine Adatepe, seiner Ehefrau und selbstredend den Preisstiftern. Es sei „eine außerordentliche Ehre“, eine Auszeichnung zu erhalten, die den Namen Hesses trägt, des Schriftstellers, dem ich mehrfach das kostbare Geschenk verdankt habe, das man Inspiration nennt.

Sabine Adatepe nutzt ihre Dankesrede, um die prekären Arbeitsbedingungen ihres Berufsstandes anzuklagen. „Es ist ein Skandal, wie karg literarisches Übersetzen nach wie vor honoriert wird, weil schlechter als das Übersetzen von Fachtexten.“ Dabei gelte doch: „Keine Weltliteratur ohne Übersetzer:innen.“ Schließlich sei Übersetzen auch Kulturtransfer. Sie selbst finde sich hervorragend in Hesse „Lob des Eigensinns“ wieder: Wer eigensinnig ist, gehorcht einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen: dem Gesetz in sich selbst, dem ‚Sinn‘ des ‚Eigenen‘!“

Nach einer zweisprachigen Lesung oblag das Schlusswort dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Pforzheim Calw. Hans Neuweiler hob die Leistung der Preisträger hervor, nicht zuletzt die hohe Kunst der Übersetzung als „Zusammenspiel von Detailgenauigkeit und Interpretationsspielraum.“

Musikalisch umrahmt wurden die Feierstunden von der Musikschule Calw.

Zitat der Woche

„Wir Menschen sind so beschaffen, dass die eigenen Sorgen und Leiden uns weit ernster erscheinen als fremde.“

Aus einem Brief Hermann Hesses 1935