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„Literatur hat in der Diktatur ein anderes Gewicht“

Meldung vom 24.10.0000

Andreas Laich

Mit Thomas Böhme bewohnt bereits der 50-ste Stipendiat der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, 1989 gegründet von Sparkasse und SüdwestRundfunk, die „Dichterklause“ am Marktplatz. Im Hesse-Museum vermittelte der Leipziger Schriftsteller Einblicke in sein Schaffen und bekannte, er habe schon vor dem Ende der DDR, „nicht mehr in diesem Land gelebt.“

Moderator und Hesse-Experte Herbert Schnierle-Lutz lieferte einen kurzen Abriss über die 19-jährige Geschichte des Calwer Hesse-Stipendiums, das auf Anregung von Egbert-Hans Müller ins Leben gerufen wurde, quasi als Ergänzung des älteren Hermann-Hesse-Preises. Volker Braun, Walter Kappacher, Ursula Krechel und viele mehr waren in dieser Zeit zu Gast in der Hesse-Stadt - „praktisch eine ganze Schriftsteller-Generation.“

Wohl keiner jedoch habe aus eigenem Antrieb so intensiv die Region erkundet wie der aktuelle Hesse-Stipendiat, erzählte Schnierle-Lutz. Thomas Böhme meinte, er könne hier „so ein bischen“ seine Kindheit nachholen, als er „tagelang durch die Wälder gestreunt“ sei. Er empfinde es als Glück, die Landschaft erleben zu können, in der Hesse, Hölderlin und Uhland gewirkt haben. Angesichts des herrlichen Spätsommer-Sonntags zum Zeitpunkt der Lesung meinte Böhme, „man sollte den Herbst als schönste Jahreszeit nutzen und das Schreiben für schlechteres Wetter aufsparen.“

Im Gegensatz zu Hesse habe er als junger Mann nicht gewusst, was er werden wollte, erinnerte sich Thomas Böhme im Gespräch mit Moderator Schnierle-Lutz. Über lange Zeit hat der aus politischen Gründen 1977 exmatrikulierte Pädagogik-Student demnach daran gezweifelt, ob er vom Schreiben leben könnte. In der DDR sie dies freilich möglich gewesen. Bei 40 Ostmark Wohnungsmiete hätten 200 Mark Einkommen durchaus zum Leben gereicht.

„Literatur hat in der Diktatur ein ganz anderes Gewicht. Der Staat fürchtete jedes Schriftstück, das er nicht zuvor gesehen hatte“, fasste Böhme seine Erfahrungen mit dem Regime zusammen. Durch den frühen Tod seiner Ehefrau 1990 habe er sich alleine um die beiden gemeinsamen Töchter kümmern müssen „und dieser ganze Sturm ist an mir vorbeigegangen“, blickte Böhme auf die Zeit der Wende zurück. Er sei dem Umbruch ohnehin skeptisch gegenüber gestanden und habe das Gefühl gehabt, „dass die große Euphorie hinterher zum Katzenjammer führt.“

Die in Calw entstandene Skizze für einen längeren Text mit dem Titel „der Aufstieg“ – „ein Beleg, dass ich nicht ganz faul bin“ – erlaubte dem fachkundigen Publikum erste Einblicke in Böhmes stilsicheren und sensiblen Umgang mit Sprache. Im Stadtgarten versucht der Autor einem forsch ausschreitenden Mann mit Strohhut und runder Brille zu folgen. Je mühsamer das Schritthalten wird, „desto mehr zweifelte ich an dem leichtfertig geschätzten Alter meines Vorgängers.“ Der ist übrigens sein eigenes Alter Ego als junger Mann.

Der vielfach ausgezeichnete Autor hat seit 1983 hauptsächlich Gedichtbände, aber auch Prosa veröffentlicht. In Calwer Hesse-Museum trug er aus dem 2005 erschienenen „Nachklang des Feuers“, „Heikles Handwerk“ (2010) und dem vergriffenen „101 Asservate“ vor. „Nicht wir verlassen das Gedicht, das Gedicht verlässt uns“, ist eine Erkenntnis, die Böhme kunstvoll in einem seiner Verse variiert. In 66 Gedichten in vierzehn Zeilen erinnert er an untergegangene Handwerksberufe wie den Laternenanzünder oder den Seifensieder. Der „Gerber“ denkt in Bedrängnis: „Jetzt geht’s dir ans Leder und hängt seine Haut zum Trocknen auf.“ Zum „Zöllner reimt der Hesse-Stipendiat: „Im Zollhaus herrschet keine Not, der Schlagbaum glänzt im Morgenrot.“

Und in „101 Asservate“ arbeitet sich der Autor durch sein persönliches Archiv „alter Worte Werte“ und erfindet zu jedem nicht mehr oder nur noch selten verwendeten Begriff eine Geschichte – von „Angebinde“ bis „Zipperlein“. „Ich liebe es, mich mit Dingen zu beschäftigen, die etwas Patina angesetzt haben“ bekennt Thomas Böhme. „Als Längenmaß ist ihm nicht über den Weg zu trauen“ formuliert er im Text über den „Duzfuß“, der „Gassenhauer“ sei nur entfernt „verwandt mit dem Ohrwurm“.

Eine selbstauferlegte „Dienstvorschrift“ wie z.B. die maximale Textlänge wie in „Heikles Handwerk“ empfindet Thomas Böhme bei der Arbeit als hilfreich. „Es macht Spaß, bestimmte Dinge in eine enge Form zu zwingen. So hüte ich mich vor Geschwätzigkeit“, begründete der sympathische Dichter, der vom Calwer Publikum mit langem Applaus bedacht wurde.

Andreas Laich

Zitat der Woche

„Was des einen Mensch Schatz und Weisheit ist, klingt den andern immer wie Narrheit.“

Aus Hermann Hesses Erzählung „Die Morgenlandfahrt“, 1930/31