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"Ohne mich stünde die Mauer noch"

Meldung vom 23.05.2008

In den letzten Jahren hat er vor allem gemalt, Hermann Hesse gelesen und sein Lebenswerk zweitverwertet. Jetzt macht Udo Lindenberg, 61, wieder mit guter Rockmusik von sich reden. Das Album «Stark wie Zwei» ist die Überraschung des Jahres: Es steigt in Deutschland von null auf eins in die Hitparade ein. In einem Interview mit der schweizer SonntagsZeitung spricht der Panik-Rocker auch über sein Verhältnis zum Dichter des Steppenwolf:   Überrascht?   Nein, als wir sie gemacht haben, dachten wir schon, hier entsteht was Schönes. Ich habe viel rumgetestet, bin viel rumgesessen mit dem Clan der Lindianer – Jan Delay, Helge Schneider, Annette Humpe. Acht Jahre hat sie gereift, und jetzt: guter, wahrer Lindenwhisky.   Ihr bestes Album seit zwanzig Jahren, da sind sich alle einig. Was ja nicht nur ein Kompliment ist.   Es war eben viel anderes los. Ich habe gemalt und Erfindungen gemacht. Etwa die Likörelle, das sind mit alkoholischen Getränken eingefärbte Malereien. Oder den Ejakulator, der mit Hilfe eines Schlagzeugs die Leinwand vollspritzt. Das hat viel Zeit in Anspruch genommen. Platten habe ich nur so nebenbei gemacht.   Sie waren kürzlich auch in Zürich, im Cabaret Voltaire. Wussten Sie, dass das Haus umstritten ist und es zur Volksabstimmung kommt?   Nein, das Dada-Haus find ich echt ein schönes Ding, ich möchte gerne mal wieder kommen. Welche Angriffspunkte gibt es denn da?   Dass mit Steuergeldern Blödsinn getrieben werde.   Es ist ja nicht Sache der Politiker,,über Sinn oder Unsinn von Kultur zu befinden. Als Andenken an Hugo Ball und die Dadaisten ist so eine Institution doch superwichtig. Der Dadaismus war ein grosses Ding, das aus Zürich herausgewachsen ist und in die ganze Welt ausstrahlt. Das hat Einfluss bis heute etwa auf Helge Schneider, den personifizierten Dadaismus der Jetzt-Zeit.   Sie haben als Rockstar auch einen gewissen Einfluss gehabt – etwa auf die Regierung der damaligen DDR. Hat Ihr Lied «Sonderzug nach Pankow» wirklich etwas bewegt?   Absolut. Ohne dieses Lied stünde die Mauer noch. Ich bin ja nicht nur Entertainer. Damals war es mir wichtig, über die Grenze zu gehen, zu Erich Honecker, zu Gorbatschow. Und nach der Wende wurde mir klar: Man kann mit Songs etwas bewirken.   Sie engagieren sich auch gegen rechte Gewalt und haben die deutsche Rockmusik sexy gemacht. Was wäre Deutschland ohne Udo Lindenberg?   Als Erfinder des Easy-Deutsch habe ich eine ganze Generation ermutigt, deutsch zu singen. Ich habe gezeigt, dass Deutsch eine lockere Sprache ist, die man kneten, shaken und mit der man jonglieren kann. Das sieht man heute an Jan Delay, wenn er rappt, oder an Roger Cicero mit seinem Jazz und Swing. Da geht jetzt alles.   Sie sind ja nicht nur Lyriker, sondern seit den Siebzigerjahren auch ein Kämpfer gegen das Spiessertum. Haben Sie diesen Kampf gewonnen?   Ganz klar. Die spiessige Nummer brauchen wir nicht mehr, das ist nicht mehr unser Deutschland. Leute mit einer kreativen Unruhe sind keine Minderheit mehr, wir sind die Mehrheit. Zumindest in den grossen Städten, in den kleinen Städten muss man, glaub ich, noch ein bisschen was machen.   «Alte Männer sind gefährlich», singen Sie heute, mit 61. Wem können Sie denn noch gefährlich werden?   Wir Rock-’n’-Roller haben ja erstaunlicherweise ein gewisses Alter erreicht und können jetzt voll Power machen. Das Lied ist aber als Arschtritt für die Leute gedacht, die sich hängen lassen und im grauen Flanell zum Sterbegang gehen. Zum Probeliegen.   Gehen Sie wirklich so lässig mit Alter und Tod um, wie es auf Ihrer Platte tönt?   Natürlich spende ich mir mit meinen Texten auch selber Trost. Ich hatte echt schwere Krisen in meinen Fünfzigern, als ich vom Teeniestar mit der Gummihose zum älteren Rock-Chansonnier reifen sollte. Aber jetzt ist das Gröbste vorbei. So lange habe ich wahrscheinlich gar nicht mehr zu leben. Zwanzig Jahre, da kann ich schon was riskieren.   Was riskieren Sie denn? Mit Ihrer Stiftung für das Werk von Hermann Hesse tun Sie keinem weh. In den Achtzigern gingen Sie immerhin noch gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf die Strasse.   Die Tagespolitik gibt nicht mehr so viel her, ausser Völkermord und Krieg. Und da ist alles erzählt. Ich beschäftige mich mehr mit den dauernden Sachen, mit Philosophie und der Lebenshaltung über den Tag hinaus. Dafür steht Hermann Hesse.   Ihr Gott aus dem Song «Interview mit Gott» klingt dennoch deprimiert und ratlos angesichts der Welt. Was würden Sie tun, wenn Sie Gott wären?   Haha! Ich würde ein grosses Interview geben auf CNN und sagen, jetzt ist Schluss, was mein Stellvertreter auf Erden da macht. Soll der scheinheilige Vater doch mal durch die Minenfelder latschen, statt nur den Boden zu küssen und zu predigen, dass die Leute den Gummi weglassen sollen.   Das ist doch kriminell. Kriminell sind auch die Steuerhinterzieher, die jetzt in Deutschland von Angela Merkel gejagt werden. Haben Sie ein reines Gewissen?   Ein blütenreines. Lindenblütenrein.     Zur Sonntagszeitung

Zitat der Woche

„Der Reiche könnte wohl, aber er kann nicht.“

Aus Hermann Hesses Betrachtung „Kleine Freuden“, 1899