• Change Language:
  • English version is coming soon.

„Reiseberichte, die von mir selbst ausgehen“ - Stipendiat Otto A. Böhmer las im Calwer Hesse-Museum

Meldung vom 18.03.2013

„Calwer Frühling“ soll sein Text über den dreimonatigen Aufenthalt in der Großen Kreisstadt betitelt sein. Und Otto A. Böhmer, 46-ster Stipendiat der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, wird darin seine Eindrücke schildern über Stadt und „Leute“, die er als sehr freundlich wahrnimmt. Bei der Matinee im Hesse-Museum lauschte ein fachkundiges Publikum den brillanten, humorvollen, immer wieder ins Mark treffenden Schilderungen des Autors.   „Ob Sie nach der Lektüre diese freundlichen Worte noch zu teilen vermögen“, darauf wollte sich der Wahl-Hesse im Dialog mit Herbert Schnierle-Lutz indes nicht festlegen. Eine typische Formulierung des promovierten Schriftstellers, der virtuos mit seinem enormen Wortschatz spielt und Gemütszustände geradezu fühlbar werden lässt. Die „Verklammerung von Leben und Werk“ der von ihm dargestellten Geistesgrößen wie Eichendorff und Nietzsche vermag der Wahl-Hesse folglich eindrucksvoll aufzuschlüsseln. Doch neben diesen populären biografischen Arbeiten hat Böhmer auch Romane, Erzähl- und Gedichtbände veröffentlicht.   „Hesse gehörte nicht unbedingt zu meinen Lieblingsautoren“, bekannte Böhmer, der fünf Jahre lang bei Suhrkamp gearbeitet hat und mit Volker Michels befreundet ist, bei der Calwer Matinee. Gleichwohl bewundert Böhmer an Hesse, „dass jemand den inneren Genius entdeckt und dann zielgerichtet mit ihm umgeht. Auch dass Hesse sich „zu einer sehr leuchtenden Sprache geöffnet“ habe, die für Manche aber heute kaum noch zumutbar sei, findet der Stipendiat bemerkenswert. Deshalb hält Böhmer es für „lobenswert, dass man bei dieser Stiftung kein Glaubensbekenntnis ablegen muss.“   Als Parallele zum Namensgeber der von Sparkasse Pforzheim Calw und SüdwestRundfunk getragenen Stiftung machte Herbert Schnierle-Lutz die autobiografische Verarbeitung aus. Eine Einschätzung, der der Wahl-Hesse freilich mit Einschränkungen zustimmte. Denn auch wenn seine Texte „Reiseberichte, die von mir selbst ausgehen“ seien, „neige ich doch zu Verfremdungseffekten.“ Für Heiterkeit im Publikum sorgte Böhmers genüssliche Ergänzung, „meine Figuren müssen alles mitmachen, was ich mit ihnen vorhabe.“ Es sei naheliegend, „dass man die Dinge, die problematisch sind im eigenen Umfeld, nimmt und ein wenig überhöht“, formulierte Böhmer. Wie zutreffend seine Umschreibung - „obendrauf schwebt diese Wehmut, die viel mit Vergänglichkeit zu tun hat“ - seine Arbeiten charakterisiert, offenbarte die sich anschließende Lesung.   „Ein feuchter roter Faden“ verbinde die Erzählung „Hegel & Hegel oder Der Geist des Weines“ mit seinem neuesten Roman, kündigte der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller an. Aus welchem Stoff dieser Faden ist war dann rasch zu erkennen, denn der gebürtige Rothenburger thematisiert in dieser Erzählung die Trunksucht des großen Philosophen. „Sie verbergen sich hinter einer zweifelhaften Ruhmseligkeit“ wirft hier voller Zweideutigkeit der Bürger Hegel dem Wissenschaftler vor. An anderer Stelle sieht sich der Denker der Anschuldigung „Sie sind ein Drei-Liter-Philosoph“ ausgesetzt. „Der Mann hatte Recht – leider, aber er hatte kein Recht, es zu sagen“, schreibt Böhmer.   Der Soziologe und Literaturwissenschaftler trug schließlich zwei Kapitel aus seinem soeben erschienene Roman – „weltweit schon ausverkauft“ - „Nächster Halt Himmelreich“ vor. Hier lässt Böhmer Freiburger Studienerfahrungen in eine freilich fiktive Handlung einfließen - für den Zuhörer eine höchst amüsante Selbstreflexion.   Der Hesse-Stipendiat zeichnet hier meisterhafte Sprachgemälde und Empfindungsbilder. Ein „Schreibtisch, über den die Staubfäden wie kleine Modellwölkchen zogen.“ „Die Stadt lag zu meinen Füßen wie weggestorben.“ Die Trägheit des Protagonisten lässt Böhmer in dem Satz gipfeln: „“Man konnte mir die Anstaltsschuhe im Laufen besohlen.“ Und die derangierte Hauptperson lallt an anderer Stelle „wie ein besoffener Simultandolmetscher, der vom Arabischen ins Kirgisische übersetzt.“   Trotz Humors latent von Wehmut und Sehnsucht durchzogene Sätze ließen die Zuhörer im Hesse-Museum gebannt dem Vortrag des Stipendiaten folgen und langen Beifall spenden.   Bild und Text: Andreas Laich

Zitat der Woche

„Aus den eifrigsten Jungen werden die besten Alten und nicht aus denen, die schon in der Jugend wie Großväter tun.“

Aus Hesses Roman „Gertrud“, 1910