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Seine Gedichte sind Stoff in Schulbüchern - Hesse-Stipendiat Arne Rautenberg las im Haus Schüz

Meldung vom 07.10.2020

Andreas Laich

Seine frühe Kindheit verbrachte er in Kabul, als Lyriker ging er später zunächst „durch ein Meer von Absagen“ und heute sind seine Gedichte in vielen Schulbüchern Lehrstoff. Arne Rautenberg, 63. Stipendiat der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, hatte bei seiner Lesung im Haus Schüz so Einiges zu erzählen. Und es wurde trotz Corona bedingt beschränkter Besucherzahl ein überaus mitreißender und kurzweiliger Abend.

Nach dem Studium der Kunstgeschichte, neueren deutschen Literaturgeschichte und Volkskunde lebt Arne Rautenberg seit 2000 in seiner Geburtsstadt Kiel. Der schon vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Künstler erhielt in diesem Jahr den renommierten Kieler Kulturpreis.

Jutta Bendt, Vorsitzende der Findungskommission der Hesse-Stiftung, getragen von Sparkasse Pforzheim Calw und Südwestrundfunk, führte im Zwiegespräch gewohnt souverän durch die Lesung. Und wollte natürlich gleich eingangs wissen, was es mit dem Afghanistan-Aufenthalt des gebürtigen Kielers auf sich hatte. Als Arne Rautenberg eineinhalb Jahre alt war, zog der Vater als Generalvertreter für Villeroy & Boch mit der Familie ins Land am Hindukusch. Von der eineinhalb-Zimmer-Wohnung in Kiel zum feudalen Haus mit Diener. Heute erinnert sich der Hesse-Stipendiat freilich nur noch „über olfaktorische Umwege“, nämlich an den herrlichen Duft der an die Ofenwand geklatschten Roggenfladen.

Nach der Rückkehr konnte der Vater dann in Deutschland nicht mehr so richtig Fuß fassen. Die vielen Umzüge lösten beim Sohn „ein Verlorenheitsgefühlt aus“, das ihn „zum Stubenhocker gemacht“ habe. Früh kam der Wunsch auf, Künstler zu werden und erste Gedichte entstanden. Die Schule war nicht mehr ganz so wichtig. Nachdem Rautenberg den Spielfilm „Van Gogh“ mit Kirk Douglas und Anthony Quinn gesehen hat, steht für ihn endgültig fest, „nicht Fußballer oder Angler, nein Maler“ will er werden. „Mit heiligem Ernst“ beginnt er zu zeichnen, beschäftigt sich mit Gaugin, den Futuristen, Dada. Und stellt fest: „man kann ja erwachsen werden, ohne erwachsen zu sein.

Im bildkünstlerischen Bereich geht es dem Lyriker heute vor allem darum: „Wie kann ich den Text vom Papier befreien?“ Zum Beispiel indem er ihn übergroß als Schriftkreis an die Wand wirft wie das Gedicht: „Ein Drehen und Wenden, Ein Rauschen und Enden“. Und ganz besonders hat es ihm die traditionelle japanischen Haiku-Gedichtform angetan: „Mit Stäbchen essen wir; Das Personal isst mit – Messer und Gabel.“ Er versuche, „kleine Magic Moments in Haikus zu gießen“, beschreibt Rautenberg seine Vorgehensweise. Und der Hesse-Stipendiat hat diese Lyrik-Form in Ein-Wort-Gedichte für sich weiterentwickelt: „Schneeflocke – Zunge.“ In „kombinatorischer Paranoia“ werden so ganze Geschichten erzählt. Wobei der bekennende „Nachtschreiber“ immer wieder erkennen muss: „Das Sehnen nach Einfachheit endet oft in Komplexität.“

Auf Jutta Bendts Frage, er habe ja auch einen Roman geschrieben, antwortet der schlagfertige Autor vielsagend: „Einen veröffentlicht, aber mehrere geschrieben.“ Dabei interessieren das Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung vor allem „Outsider, Randfiguren, Künstlerexistenzen, Menschen, die im Leben etwas riskieren.“

Arne Rautenberg hat sich in der „Calwer Dichterstube“ auch Dank der „Nestwärme“, die ihm Familie Schaber im Hesse-Geburtshaus geboten habe, „wahnsinnig wohlgefühlt“ und will „mit Sicherheit wiederkommen.“ Er konnte das dreimonatige Stipendium auch für die Arbeit an den „Vogelgedichten“ nutzen, von denen sein Verlag 60 Stück in Auftrag gegeben hat. „Weil Tropfen schwer in Federn liegen, können Vögel schwer im Regen fliegen“ ist eines von ihnen. Oftmals, so bekennt der Familienvater bei der amüsanten Lesung im Haus Schüz, verstehe er ein Gedicht „in dem Moment, in dem ich’s geschrieben hab.“ Die Entstehungsphase beschreibt er als „eine Séance mit mir selber.“

Wie aber sind nun die ersten Kindergedichte entstanden, die den Poeten deutschlandweit bekannt gemacht haben? Die Anregung kam von Rautenbergs damals sechsjähriger Tochter, die unbedingt Gedichte über ihr Lieblingstier vom Vater haben wollte: das Walross. Heute kann der Kulturpreisträger zufrieden feststellen: „Als Kinderdichter hat man einen Bildungsauftrag mit vielen Lesungen.“

Gleichwohl sieht er die Gefahr, nur noch „als Kindergedichte-Onkel“ gesehen zu werden. „Ihre Mission ist die Poesie, Sie bereiten Freude mit Sprache“, hielt Jutta Bendt ihm daraufhin entgegen. Und der Schlussapplaus der Besucher unterstrich ihre Empfindung.

Bild und Text: Andreas Laich

Zitat der Woche

„Wir Menschen sind so beschaffen, dass die eigenen Sorgen und Leiden uns weit ernster erscheinen als fremde.“

Aus einem Brief Hermann Hesses 1935