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Über Hermann Hesses Halbbruder Theodor Isenberg

Meldung vom 25.03.2014

Theodor Isenberg, der elf Jahre ältere Halbbruder von Hermann Hesse, stand im Mittelpunkt eines Vortrages, den der Calwer Hesse-Forscher Herbert Schnierle-Lutz an dessen langjährigem Wohnsitz in Haiterbach (Kreis Calw) gehalten hat. Hermann Hesse hat ihn dort mehrfach besucht, u.a. bei seiner letzten Deutschlandreise im September 1936 aus Anlass des 70. Geburtstages von Theodor Isenberg.

Geboren wurde er 1866 in Haiderabad am Indus, das heute zu Pakistan gehört. Sein Vater war der Missionar Charles Isenberg, den Marie Gundert in erster Ehe 1865 heiratete. Sein jüngerer Bruder Karl kam 1869 zur Welt. Um diese Zeit war Charles Isenberg bereits an einer schweren Lungentuberkulose erkrankt, welche die Familie zu einer raschen Rückkehr nach Europa zwang. Ein halbes Jahr später starb Vater Isenberg in einem Stuttgarter Hospital.

Marie Gundert-Isenberg zog daraufhin 1870 mit ihren beiden kleinen Söhnen nach Calw zu ihren Eltern. Ihr Vater hatte dort 1862 die Leitung des christlichen Calwer Verlagsvereins übernommen, nachdem er zuvor über zwei Jahrzehnte als Missionar der Basler Mission in Indien gearbeitet hatte. Marie assistierte in Calw ihrem Vater bei der Verlagsarbeit und war auch ein Schuljahr lang als Englischlehrerin tätig – als erste Frau im württembergischen Schuldienst. 1873 lernte sie dann den Missionar Johannes Hesse kennen und lieben, der ihrem Vater von der Basler Mission als Assistent im Verlagsverein geschickt worden war. 1874 heirateten sie, und 1877 kam Hermann Hesse als zweites von sechs Kindern zur Welt.

Seine Stiefbrüder Theodor und Karl waren da bereits elf und acht Jahre alt – „verehrte und bewunderte große Brüder“, wie Hermann Hesse später schreiben wird. Als die Familie Hesse 1881 bis 1882 in Basel wohnte, weil Vater Hesse Arbeit im Missionshaus übertragen bekommen hatte, begann Theodor Isenberg eine Apothekerlehre in Basel. Es war nicht sein eigener Entschluss; sein Wunsch war eigentlich, Opernsänger zu werden, da er musikalisch interessiert und begabt ist. Aber dies war der frommen Mutter zu „weltsinnig“. Und so musste Theodor warten, bis er volljährig war und mit seinem väterlichen Erbe auf eigene Verantwortung und zum großen Missbehagen der Mutter an den Konservatorien in Stuttgart und Sondershausen studieren konnte.

Nach Abschluss der Ausbildung bekam er eine Anstellung als Operntenor an einem privaten Theater im holländischen Groningen. Er hatte aber kein Glück, da der Theaterdirektor kurze Zeit darauf mit der Kasse durchbrannte und das Theater seinen Betrieb einstellen musste. Als sich weitere Versuche, ein Opernengagement zu bekommen, zerschlugen, blieb Theodor Isenberg nicht anderes übrig, als wieder als Apothekergehilfe zu arbeiten.

Da er in seiner Zeit als Opernsänger sich zudem in Martha Cohen, eine Tochter aus einer jüdischen Kaufmannfamilie, verliebt hatte und diese heiraten wollte, beschloss er, sich beruflich auf stabile Beine zu stellen und Pharmazie zu studieren. 1896 heirateten sie, nachdem Martha zum evangelischen Glauben übergetreten war, und noch im selben Jahr übernahm Theodor in dem zwischen Calw und Böblingen gelegenen Ort Aidlingen eine Apotheke. 15 Jahre später, 1911, erwarb man dann am südlichen Endes des Kreises Calw in Haiterbach eine eigene Apotheke, die Theodor Isenberg bis zu seinem Tod 1841 inne hatte.

Eine schwierige Zeit war für die Familie das „Dritte Reich“ aufgrund der jüdischen Herkunft von Martha Isenberg. Da die Familie im Ort aber geschätzt war, kam es zu keinen Übergriffen. Martha Isenberg brachte sich trotz ihrer bedrohlichen Situation sogar in ein Netzwerk der Bekennenden Kirche ein, das verfolgte jüdische Bürger versteckte. Daran beteiligt war vermutlich auch Hermann Hesses ältere Schwester Adele, deren Mann im 15 km entfernten Eckenweiler (bei Horb) Pfarrer war.

Herbert Schnierle-Lutz referierte den Lebenslauf Theodor Isenbergs sehr detailliert und berichtete interessant über seine Beziehung zu Hermann Hesse. Der Vortrag wurde musikalisch umrahmt von dem Freudenstädter Musiker und Sänger Werner Wilms, der, begleitet von dem Pianisten Johannes Köstler, Vertonungen von Gedichten Hermann Hesses von den Komponisten Justus Hermann Wetzel und Othmar Schoeck ausdrucksvoll vortrug.

Das Foto wurde 1893 in Calw bei der Verlobung von Theodor Isenberg mit Martha Cohen aufgenommen. Hermann Hesse steht links neben den beiden Verlobten; davor sitzen (von links) sein Halbbruder Karl Isenberg, seine jüngere Marie (Marulla) Hesse, seine ältere Schwester Adele Hesse und sein jüngerer Bruder Hans Hesse.

Zitat der Woche

„Mit der Weisheit geht es uns wie dem Achilles mit der Schildkröte. Sie ist immer ein Stück voraus. Zu ihr unterwegs zu sein, ihrer Anziehungskraft zu folgen, ist dennoch ein guter Weg.“

Aus einem Brief Hesses 1950 an Hans Huber