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Volker Michels plauderte über sein Leben für und mit Büchern

Meldung vom 11.11.2008

„Heute soll er selbst mal im Mittelpunkt stehen – und nicht Hermann Hesse“, stellte Herbert Schnierle-Lutz gleich zu Beginn des Abends klar. Und im Mittelpunkt stand diesmal tatsächlich der Literaturexperte Volker Michels und sein Werdegang. „Hesses Stellvertreter auf Erden“ erzählte im Plauderton kurzweiliges aus 40 Jahren Leben für und mit Büchern.   Auch der Ort des Calwer Büchergesprächs der Volkshochschule war mit Bedacht gewählt, das Hesse-Kabinett der Sparkasse Pforzheim Calw. Eine Etage höher untergebracht ist das Pfeifer-Archiv, wo Schnierle-Lutz rund 5 000 Bücher und eine der größten Hesse-Erstausgabensammlungen verwaltet.   Der von Filialdirektor Alexander Dippold und VHS-Leiter Günther Stricker herzlich eingeführte Hesse-Herausgeber offenbarte gleich eingangs Überraschendes. Hat er doch einst Medizin und Psychologie studiert, weil die Eltern nur „etwas Handfestes“ finanzieren wollten. Bei der ersten Begegnung mit Fischer und Suhrkamp-Verlagsleiter Siegfried Unseld in Frankfurt erfuhr dieser von Michels allerhand interessantes über Hesse. Unseld hatte zwar über Hesse promoviert, „war aber vollkommen verloren unter seinen Lektoren“, die Hesse für reaktionär und unaktuell hielten, erzählte Michels. Vom unsäglichen 59er-Spiegeltitel „Hesse in der Gartenlaube“ bis zu seinem Tod sei der Nobelpreisträger als „Autor des individuellen Katzenjammers“ diffamiert worden.   Heute verkauft Suhrkamp monatlich so viele Hesse-Bücher wie bei Michels Verlagseintritt 1969 im ganzen Jahr. Hesse sei zur „Muttersau mit tausend Zitzen“ geworden, formulierten der schon legendäre Herausgeber deftig. Ende 69 dann lernt Michels Hesse-Sohn Heiner kennen, der 3 000 Buchbesprechungen seines Vaters im Koffer aus der Schweiz mitbringt. Darin erweist sich Hesse als „scharfer Zeitkritiker und politischer Prognostiker“, und Michels thematisiert dies bis heute in stets viel beachteten Bänden. Allgemein jedoch bedauert Michels das schwache Echo unter den Literaturkritikern, denen Hesse noch immer fremd sei. „Autoren, die sich verständlich ausdrücken, mögen die Philologen nicht, da besteht kein Interpretationsbedarf“, meint der Hesse-Experte beinahe resigniert.   Dank Heiner Hesse wurden bis dato 17 000 Hesse-Briefe gefunden und Volker Michels plant zehn Bände mit den interessantesten Texten. „Du lernst den Hesse dadurch auch kennen, aber du lernst vor allem dich selber viel besser kennen“, attestierte Michels den Briefen des Nobelpreisträgers. Hesses Texte zur chinesischen Philosophie und Kultur sollen übrigens zur Frankfurter Buchmesse erscheinen, wo China 2009 Themenschwerpunkt ist.   Natürlich gebe es auch bei ihm Ermüdungserscheinungen bei der Beschäftigung mit Hesse; über manche Ausdrucksarten sei einfach die Zeit hinweggegangen. Sprachliche Nachlässigkeiten gebe es bei ihm häufiger als bei anderen Größen wie Thomas Mann. Aber ein Hesse-Manuskript sei eben wie eine Entladung fast ohne Korrekturen aufs Papier geworfen, und das übertrage sich einfach auf den Leser.   Wie sehr Michels Leben von der Beschäftigung mit Hesse bestimmt ist, macht eine Aussage seiner Frau deutlich, die immer wieder den Eindruck hat, mit zwei Männern verheiratet zu sein. Das Calwer Publikum, unter ihnen auch OB Manfred Dunst, erlebte fast zwei Stunden entspannter Literaturplauderei auf hohem Niveau: eine Sternstunde.

Zitat der Woche

„Der Kleinere sieht am Größeren das, was er eben zu sehen vermag.“

Aus Hermann Hesses Roman „Das Glasperlenspiel“, 1943