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Vom Mut, unerschrocken zu denken

Meldung vom 06.05.2008

Das 13. Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw befasste sich mit Hesses Menschenbild und Weltsicht   Von Herbert Schnierle-Lutz   Da hat sich nichts geändert: Hermann Hesse ist nach wie vor weltweit der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, gefolgt von Thomas Mann, Stefan Zweig und Günter Grass. Seine Gesamtauflage wird auf über 100 Millionen geschätzt. Auch hierzulande finden weiterhin Jahr für Jahr hunderttausende Hesse-Bücher ihre Leser. Und dennoch spielt Hesse im deutschen Literaturbetrieb und an den deutschen Universitäten nur eine geringe Rolle – im Gegensatz zu anderen Ländern wie z.B. den USA, England, Japan, Korea. Seine Popularität scheint ihm hier eher zu schaden. Wer soviel Erfolg hat, kann unmöglich hohe Qualität haben, wird kurzschlüssig gefolgert. Er schreibe zudem auch eine Art Lebenshilfe-Literatur – als ob das etwas Verwerfliches oder gar Unnötiges wäre. Idylliker, Dauerpubertierender und Innerlichkeitsapostel sind weitere Etiketten, die Hesse gerne angeheftet werden.   Aus dieser Situation heraus war es dem 13. Internationalen Hesse-Kolloquium ein wichtiges Anliegen gegen diese Vorurteile anzugehen, die oft darauf beruhen, dass die Kritiker Hesses empfindsame Adoleszenz-Romane „Unterm Rad“ oder „Demian“ in ihrer Jugend gelesen haben und nun als erwachsene Erfolgsmenschen von dieser Phase ihres Lebens nichts mehr wissen wollen. Dass Hermann Hesse indes weit mehr und über alle Lebensalter geschrieben hat, ist ihnen entgangen. Von den 14 500 Seiten der neuen 20-bändigen Hesse-Werkausgabe kennen sie kaum 500, und dennoch reicht ihnen das, um ein Urteil über Hesse und sein Werk zu fällen.   Volker Michels, Herausgeber und umfassender Kenner des Hesse-Werkes, stellte gegen diese Vorurteile einen Wesenszug Hesses in den Mittelpunkt seines einführenden Vortrages, den auch der berühmte Kollege und Freund Thomas Mann an Hesse bewundert hat: den Mut, unerschrocken zu denken.   Hesse selbst spricht von der „Lust, unerschrocken zu denken, sich die Welt auf den Kopf zu stellen und von allen Dingen, Menschen und Ereignissen Antworten haben zu wollen“ – auch wenn dies gefährlich ist, wie Hesse bereits als Fünfzehnjähriger erfahren musste, als er sich den erzieherischen Konventionen verweigerte und prompt zur Überprüfung seines Geisteszustandes in eine Anstalt gesteckt wurde.   Dennoch ging er konsequent seinen Weg weiter und verweigerte sich später ebenso entschieden den zeitgeistigen Anpassungen an den Nationalismus, die Kriegsgewalt und die technik- und konsumgläubige Massengesellschaft mit ihren umwelt- und zivilisationszerstörerischen Auswüchsen. Und wie mehrere Vorträge des Kolloquiums detailliert zeigten, setzte er all dem eine Ethik entgegen, die er aus dem großen humanistischen Gedankengut Europas wie auch Asiens gewann. In ihrem Zentrum stehen nicht die gängigen Ziele Ruhm, Erfolg und Profit, sondern Menschwerdung, Verantwortung und Ehrfurcht vor dem Leben, nicht der Staat oder die Massengesellschaft sondern das mündige menschliche Individuum. Volker Michels sieht darin den Grund, dass Hesse bei den Machthabern in West wie Ost nie beliebt gewesen sei. Hesses Gesinnung sei nicht für Zwecke politischer Macht benutzbar. Als Hesse nach dem Desaster des Zweiten Weltkriegs den Nobelpreis erhielt und kurz die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erhielt, mahnte er, dass nun statt Parteigesinnung endlich die Heranbildung verantwortungsfähiger Persönlichkeiten gefördert werden müsse. Die Zeit war damals für diesen Gedanken nicht reif. – Die Politik stürzte sich stattdessen in das neuerliche Desaster des Kalten Krieges mit seinen zementierten Systemen. – Wäre die Zeit heute für Hesses Gedanken reifer? Ein dahingehendes Prinzip Hoffnung wurde in einigen Kolloquiums-Vorträgen zu formulieren versucht.   WEITERE INFORMATIONEN: Sämtliche Vorträge der aus Deutschland, USA, England, Italien, Frankreich, der Schweiz und der Slowakei angereisten Referenten sind demnächst in einem Band nachlesbar, der beim Hesse-Kolloquium, c/o Landesakadamie, Baetznerstraße 92, 75323 Bad Wildbad bestellbar ist.   Foto von Herbert Schnierle-Lutz: Volker Michels vor dem Plakat des Kolloquiums   Quelle: „Schwarzwälder Bote“, Kulturseite, vom 5. Mai 2008

Zitat der Woche

„Der Reiche könnte wohl, aber er kann nicht.“

Aus Hermann Hesses Betrachtung „Kleine Freuden“, 1899