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Zu allererst der Sprache verpflichtet - Stipendiaten-Lesung mit Angelika Klüssendorf

Meldung vom 18.03.0000

Andreas Laich

„Ich bin mehr im Schreiben als in Calw“, meinte Hesse-Stipendiatin Angelika Klüssendorf auf die Frage nach ihren Eindrücken von der Gastgeberstadt. Das Interesse an der vielfach ausgezeichneten Autorin war indes gewaltig. Der Saal im Haus Schüz platzte bei der von Herbert Schnierle-Lutz gewohnt gekonnt moderierten gehaltvollen Lesung aus allen Nähten.

„Als routinierten Menschen, der seine Rituale braucht“, schätzt die Hesse-Stipendiatin jedenfalls die „friedliche Stimmung“ in Calw. Zum Schreiben brauche sie einen Zustand, „wo ich unsichtbar bin, wo ich auf ein bestimmtes Level runterkomme und nicht gestört werde.“

Die 51. Stipendiatin der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung hat die Werke des Nobelpreisträgers – „wie 50 Prozent meiner Generation“ – durchaus gelesen. In der Jugend sei das großartig gewesen, aber „ansonsten ist meine Hesse-Zeit vorbei. Man hat viele seiner Götter eingetauscht“, bekennt die 1985 aus der DDR ausgereiste Autorin.

Die von Schnierle-Lutz vermuteten autobiografischen Bezüge zur Hauptfigur ihrer Erfolgsromane „Das Mädchen“ und „April“ verneint Angelika Klüssendorf vehement. Ihre Bücher seien Fiktionen und „zu allererst der Sprache verpflichtet.“ Auch wenn sie darin um Zustände kreise, die schwierig sind, sei es doch nicht ihre Geschichte.

Mit 14/15 beginnt sie Tagebücher und Gedichte zu schreiben, gibt später in Leipzig die Untergrundkunstmappe „Anschläge“ heraus. Die DDR habe sie öde und leer empfunden, die allgegenwärtige Staatssicherheit nicht so ernst genommen. Wie eine Art Till Eulenspiegel „hab ich die auch benutzt, ihnen hanebüchene Geschichten erzählt.“ Sie sei der Stasi wie ein Fisch durch die Finger gegangen und ist heute überzeugt: „Die waren recht froh, mich loszuwerden. Ich war einfach nicht berechenbar.“

Denn Westen hatte sich die Autorin als „kalt und menschenverachtend“ vorgestellt, und „dass alle parfümiert sind.“ Dass dieses von der DDR-Propaganda gezeichnete Bild falsch war, erkannte sie in der Bunderepublik zwar schnell. Gleichwohl war der Staatenwechsel eine Zäsur.

Ähnliches erlebt die gleichnamige Hauptfigur in zweiten von auf drei Bände angelegten Romanzyklus „April“, aus dem die Hesse-Stipendiatin gekonnt einige Passagen vortrug. „Eine dunkle Übellaunigkeit hat sich in ihrem Körper eingenistet“, wird da Aprils Gemütszustand umrissen. Oder bildhaft greifbar, als „das Glück verdampft wie eine Pfütze bei großer Hitze.“ Szenen und Situationen werden beschrieben, die in sich einfach stimmig sind und Klüssendorfs meisterhaften Umgang mit der Sprache deutlich machen.

„Das ist Sprache, Sprache, Sprache – und harte, harte Arbeit“, antwortet die Schriftstellerin auf eine Publikumsfrage, wie ihre Texte entstehen. „Wenn ich am Tag eine Seite schaffe, hat die noch 20 Stunden vor sich. Und am Ende bleiben vielleicht vier Sätze übrig“, beschreibt die Hesse-Stipendiatin, der auch in der Diskussion mit dem Publikum jedes Pathos fremd ist. Diese genaue Arbeitsweise macht auch deutlich, warum Angelika Klüssendorf seit einem halben Jahr an den 50 Seiten für das dritte Buch ihres Romanzyklus über das Mädchen April sitzt.

Und klarmacht: „Ohne Stipendien und Preise wäre mein Stundenlohn gering.“

Andreas Laich

Zitat der Woche

„Oft ist die Welt schlecht gescholten worden, weil der, der sie schalt, schlecht geschlafen oder zu viel gegessen hatte.“

Aus Hermann Hesses Essay „Zarathustras Wiederkehr“, 1919