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Emine Sevgi Özdamar

Emine Sevgi Özdamar und Christa Linsenmaier-Wolf
Gottfried Wolf

Die 67. Stipendiatin der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung Emine Sevgi Özdamar bewohnte von Anfang Februar bis Ende April 2023 die „Dichterklause“ im Hesse-Geburtshaus am Calwer Marktplatz. Sie hatte die Einladung der Stiftung angenommen, bevor einige der wichtigsten deutschen Literaturpreise auf sie herabregneten, allen voran der Georg-Büchner-Preis, mit dem sie 2022 von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet wurde. Bei der Verleihung des Mannheimer Schillerpreises wenig später hielt kein Geringerer als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Laudatio. „Einsame Größe“ titelte anlässlich des Büchner-Preises die FAZ und bezeichnete damit treffend das Schaffen einer Schriftstellerin, die wie keine zweite mit der Kraft ihrer Sprache eine poetische Wirklichkeit schafft, die zugleich konkret und erfahrungsgesättigt ist.
Das neu erwachte Interesse der literarischen Welt galt ihrem 2022 erschienenen „Opus Magnum“ mit dem wundersamen Titel „Ein von Schatten begrenzter Raum“. Das über 700 Seiten starke Buch, inzwischen auch als Taschenbuch erhältlich, verwandelt autobiografisches Material in poetische Fantasien und behandelt zugleich brisante zeitgeschichtliche Themen – wie die politische Unterdrückung in der Türkei unter wechselnden Diktaturen – sowie deutsche Theatergeschichte. Sevgi Emine Özdamar ist vieles und hat eine Menge erlebt: Aus der Türkei floh sie 1976 ins Exil nach Deutschland, wo sie Heimat fand in der Sprache von Brecht und Zuflucht auf deutschsprachigen Bühnen als Bühnenbildnerin, Schauspielerin und Theaterautorin – geschätzt auch von mächtigen Regisseuren wie Benno Besson, Matthias Langhoff, Peter Zadek und Claus Peymann, dem sie ans Theater Bochum folgte.
Ihr erstes kleines Theaterstück – der Monolog einer Putzfrau – galt auf witzige, alles andere als verbissene Weise dem Umstand, dass in Deutschland türkischstämmige Schauspielerinnen auf deutschen Bühnen zunächst zwangsläufig Putzfrauenrollen spielten, und ihre Karriere darin bestand, zunächst mit Wischtuch und Wasser, später mit einem Staubsauger aufzutreten. Durch Prosawerke wurde sie immer bekannter – etwa mit dem Roman „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“ von 1992.
Die 75-jährige Schriftstellerin ist auf dem Zenit ihres Schaffens und im hellen Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit angekommen. Das hinderte sie nicht daran, das Stipendium in Calw anzutreten und den Aufenthalt in Calw gemeinsam mit ihrem Ehemann Karl Kneidl zu genießen. Von Calw aus reiste sie. auf Einladung der Sorbonne nach Paris und unternahm etliche andere Abstecher zu Lesungen, u.a. ins nahe gelegene Fellbach. Nach Calw kehrte sie immer wieder „heim“ und schrieb der Stiftung zum Abschied: „Wir waren hier sehr glücklich. Wir haben wunderbare Menschen kennengelernt – diese herzliche Familie Schaber und diesen tollen Piet, den haben wir ins Herz geschlossen.“
Sevgi ist der Vorname, den ihr die Eltern einst gaben. Emine ist der Kosename, den ihr ein arabischer Schriftsteller verlieh. Zu Deutsch heißt Sevgi passenderweise „Liebe“.

Christa Linsenmaier-Wolf

Zitat der Woche

„Oft ist die Welt schlecht gescholten worden, weil der, der sie schalt, schlecht geschlafen oder zu viel gegessen hatte.“

Aus Hermann Hesses Essay „Zarathustras Wiederkehr“, 1919