Als „beharrliche Verteidigerin jener Literatur, die sich in erster Linie als Kunst versteht, als Form ästhetischer und sprachlicher Opulenz“ wurde die 54. Hesse-Stipendiatin Esther Kinsky vorgestellt. In der Sparkassen-Kundenhalle hatten sich Vertreter der Stadt, Mitglieder und Freunde der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung eingefunden, um die vielfach ausgezeichnete Autorin und Übersetzerin willkommen zu heißen.
Markus Schwarz, in Calw Filialdirektor der Sparkasse, hob in seiner Begrüßung die Rolle der Familie Schaber „als Gast- und Ratgeber“ hervor. In ihrem Haus am Marktplatz befinden sich bekanntlich das Geburtszimmer des Nobelpreisträgers und die Wohnung der Hesse-Stipendiaten. Schwarz wünschte Esther Kinsky einen „inspirierenden und kreativen Aufenthalt.“
Stiftungs-Vorsitzender Dr. Andreas Narr stellte fest, „der Blick in andere Welten und Kulturen“ sei mit Anlass für das Hesse-Stipendium gewesen. Und Museumsleiter Timo Heiler hoffte, dass der Stipendiatin „die Präsenz Hermann Hesses in Calw als Quelle der Inspiration dient.“
Esther Kinsky wurde 1956 in Engelskirchen im Bergischen Land geboren. Nach dem Slavistik-Studium zog sie 1990 nach London, wo sie bis 2004 lebte und als literarische Übersetzerin aus dem Polnischen, Russischen und Englischen arbeitete. 2006 erhielt sie das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung, das ihr Reisen im Grenzgebiet von Ungarn, Rumänien und Serbien ermöglichte. „Sommerfrische“ und „Banatsko“ sind ihre Romane über diese Erfahrungen.
Zu Esther Kinskys Biographie gehören immer wieder längere Lebens- und Arbeitsabschnitte in anderen Ländern, in ihr zunächst fremden Umgebungen. Im Essayband „Fremdsprachen“ reflektiert sie darüber, aber auch über den Dialog von Originaltext und Übersetzung. „Das Bewegen in anderen Sprachräumen, deren jeweiliger Klang sich mit ihrer deutschen Muttersprache, aber auch mit Erinnerungen an Worte und Stimmen ihrer Vorfahren aus Polen vermischen“, analysierte Dr. Ute Hübner diese Arbeitsweise. Die Leiterin des Hesse-Museums in Gaienhofen adelte Esther Kinsky als „kongeniale Vermittlerin polnischer, russischer und englischer Literatur, wofür sie mit dem Paul-Celan-Preis und mehreren Arbeitsstipendien ausgezeichnet wurde.
Seit 2009 lebt Esther Kinsky in Berlin und im ungarischen Bottonja. Für ihren jüngsten Roman „Am Fluss“ erhielt sie den Kranichsteiner Literaturpreis und zusammen mit Uljana Wolf den renommierten Adelbert-von-Chamisso-Preis für ihr Gesamtwerk.
Speziell auf dieses Werk bezog sich Ute Hübner, die auch der Findungskommission der Stiftung angehört, in ihrer Laudatio. Auf Spaziergängen in der Gegend des River Lea bei London verfolgt die Autorin die urbane Historie dieser Flusslandschaft. „Diese Texte begleiten einen fortan, lassen einen nicht mehr los, sie unterwandern das eigene Denken und Fühlen mehr als sich ahnen lässt. Dabei geraten wir Leser durchaus auch mitten hinein in brüchige, verwirrende Unübersichtlichkeiten, die Leben heißen“, beschrieb Dr. Ute Hübner.
Textprobe: „Die Tage folgten immer der gleichen Richtung: Flußabwärts und zurück. Ich brachte Bilder mit und kleine Fundstücke in Gestalt von Federn, Steinen, Samenhülsen, verwelkten Blumen. Die Wohnung füllte sich nach und nach mit der Flußlandschaft… […] Der Fluß selbst wäre womöglich erstaunt gewesen.”
Andreas Laich