Sie weiß überaus lebendig aus einem wahrhaft bewegten Leben zu erzählen. Die Schriftstellerin und Künstlerin Gabriele Stötzer wurde als 49. Stipendiatin der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung in der Sparkasse willkommen geheißen. Für ihren Beitrag, den sie zur Beendigung des Unrechtsstaats DDR geleistet hat, erhielt sie 2013 von Bundespräsident Gauck das Bundesverdienstkreuz.
Vorsitzender Dr. Andreas Narr, direkt von einer Jury-Sitzung zum Panikpreis aus Hamburg gekommen, zog Parallelen zwischen den beiden in Calw gegründeten Stiftungen. Sowohl die Udo-Lindenberg- als auch die Calwer Hermann-Hesse-Stiftung hätten sich den Idealen des Nobelpreisträgers verschrieben. „Dialog und Auseinandersetzung mit Werk und Menschen der Stadt“ sei eine der Intensionen bei der Gründung der Hesse-Stiftung gewesen. Auch deshalb hoffe man in Calw „auf eine kleine literarische Spur“ der Hesse-Stipendiatin.
Die 1953 in Emleben geborene Gabriele Stötzer hat nach der Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin in Erfurt Germanistik und Kunsterziehung studiert. Im letzten Studienjahr 1976 wurde sie wegen einer kritischen Petition von der Hochschule geworfen und 1977 wegen Protestes gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann zu einem Jahr Haft wegen „Staatsverleumdung“ verurteilt.
Wie sehr diese Erfahrung sie bis heute prägt und bewegt, wurde den Begrüßungsgästen – unter ihnen auch Stiftungsmitgründer Jürgen Teufel – im Casino der Sparkasse Pforzheim Calw durch Frau Stötzers Erzählweise deutlich. Noch im Gefängnis habe sie beschlossen zu schreiben und auch, die DDR keinesfalls zu verlassen, berichtet die auch als Fotografin und Grafikerin renommierte Autorin. „Nacht um Nacht in die Sterne gefleht, einmal schreiben zu können“, notierte sie damals. „Ich habe nach dem Knast alles verstanden und nicht gewertet“, erzählt sie heute. In ihrem Roman „Die bröckelnde Festung“ hat Gabriele Stötzer 2002 ihre unfassbaren Erlebnisse in Hoheneck literarisch verarbeitet.
„Bleibe im Lande und wehre dich täglich“ wurde ihr nach der Haftentlassung zum Lebensmotto. „Dasein, mitregieren, jungsein, über Grenze schlagen“ waren frei nach Hesses „Steppenwolf“ ihre Ideale, „während eine ganze Generation in den Westen ging.“
Als 1989 überall die Akten brannten, war Stötzer unter den Ersten, die eine Stasi-Zentrale besetzten. Mit Einwilligung der Überwachten las sie 35 Stasi-Akten. „Das war die eigentliche Mutprobe, weil man das Prinzip der Akten kennlernt“ analysiert Gabriele Stötzer. „Plötzlich fiel die Mauer und Die im Westen sagten, wir wollen gar nichts mehr von der DDR wissen, die gibt’s doch gar nicht mehr“, wundert sich die Hesse-Stipendiatin noch heute.
Im 1979 erschienenen „Das Leben der Mützenlosen“ schreibt Gabriele Stötzer: „Wir halten uns nicht an eure Abmachungen, eure Gesetze besitzt ihr ohne uns, ihr habt uns nicht gefragt, ihr habt immer für uns mitgeredet. Ihr kennt uns nicht, ihr seht uns nicht. Wenn ihr über uns redet, redet ihr über uns hinweg. Wir horden uns in Gruppen und stehen an den Rändern eurer Welt. Aber übersehen könnt ihr uns nicht, überleben könnt ihr uns nicht, vernichten könnt ihr uns nicht, vergessen könnt ihr uns nicht.“