Das Übersetzen sei, bei allen finanziellen Unsicherheiten und Abgabezwängen, längst zu seinem Traumberuf geworden, bekennt Hans-Christian Oeser. Humorvoll und eloquent berichtete der gebürtige Wiesbadener im Gespräch mit Tobias Scheffel von seinem „Eintauchen in fremde Welten“, aber auch von der „ständigen Hetze“, unter der alle Übersetzer leiden.
Tobias Scheffel stellte den seit 1980 in Irland und seit kurzem auch wieder in Deutschland lebenden Gast vor. Der literarische Übersetzer hat mehr als 150 Titel – Romane, Kurzgeschichten, Lyriksammlungen irischer, britischer und amerikanischer Autoren – ins Deutsche übertragen. Aber er hat auch vom Deutschen ins Englische übersetzt. Zudem verfasste Hans-Christian Oeser Bücher über Irland und Dublin, Biografien über Oscar Wilde und James Joyce und ist Herausgeber mehrerer Anthologien. Einen Tag nach der Calwer Veranstaltung ging in Oesers Übersetzung der dritte Band der Autobiografie von Mark Twain in Druck.
Angesichts dieses gewaltigen Oeuvres sei es schon erstaunlich, dass der Hesse-Stipendiat „weder ein biblisches Alter erreicht“ habe noch „eine multible Persönlichkeit“ sei. Ebenso humorvoll wie Scheffels Feststellung beantwortet Hans-Christian Oeser anschließend die Fragen des Übersetzerkollegen.
„Fabulierlust und freier Umgang mit der englischen Sprache“ sind aus Sicht des Hesse-Stipendiaten Voraussetzungen für seine Arbeit. Die Bitte, doch aus seiner wunderbaren Twain-Biografie vorzutragen, lehnte der 57-Jährige indes wohlbegründet ab. „3 000 Manuskriptseiten ermüden auch noch den schaffenfreudigsten Menschen; ich muss mich etwas von Twain erholen“, bekannte Oeser freimütig.
Er gehe „völlig naiv an Dinge heran“, kenne sich oft mit dem Gesamtwerk eines Dichters gar nicht aus, berichtete Hans-Christian Oeser vom schwierigen Handwerk der Lyrik-Übersetzung. Bei jedem Gedicht gelte es, Form und Rhythmus zu beachten. Aber wenn er dann den Zugang zu einem Werk gefunden habe, erschließe sich auch der Rest von diesem Punkt aus. Seine eindrucksvolle Übertragung eines Gedichts aus dem Englischen ins Deutsche machte den Besuchern die hohe Meisterschaft des Stipendiaten deutlich.
Heute sei das Bewusstsein für die Herausforderung einer literarischen Übersetzung gewachsen. Früher sei ob der Genauigkeit oft „die große Linie, der Schwung eines Werks“ vergessen worden. Das Original ist für Oeser aber „eine Größe, an der man sich abarbeiten muss.“ Folglich „unterscheiden sich drei Übersetzungen wie die Übersetzer selbst.“
Andreas Laich