„Ich würde mir nicht zutrauen, über Leute zu schreiben, die ganz anders leben“, begründet Katrin Seddig ihren den Romanfiguren ungewöhnlich nahen, authentischen, zugewandten Stil. Als bereits 62. Stipendiatin der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung war die Wahl-Hamburgerin im Frühjahr 2020 zu Gast in Calw. Und wurde im Casino der Sparkasse von Vertretern der Stadt sowie der Stiftung willkommen geheißen.
Stiftungs-Vorsitzender Dr. Andreas Narr betonte in seiner Begrüßung: „Wir sind stolz darauf, dass wir Sie gewinnen konnten.“ Er hob hervor, dass Seddings Bücher „Stoff aus dem wirklichen Leben“ seien und outete sich als regelmäßiger Leser ihrer „sehr interessanten“ Kolumnen. Seit acht Jahren erscheinen sie unter dem vielsagenden Titel „Fremd und befremdlich“ regelmäßig in der TAZ Nord.
Für Calws OB Florian Kling war es die erste Begrüßung einer Hesse-Stipendiatin. Weil er „Teile“ seines Lebens“ in Strausberg verbracht hat, kennt das Stadtoberhaupt Katrin Seddings Geburtsstadt gut.
Jutta Bendt, Bibliotheks-Leiterin am Deutschen Literaturarchiv Marbach, führte mit der Autorin, die bereits vier Romane veröffentlicht hat, ein aufschlussreiches Gespräch zur Begrüßung. Dabei offenbarte die Mutter von zwei Kindern, wie sie in ihren Kolumnen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen zu verstehen versuche, „warum ich solche Empfindungen habe.“ Ein „besonderes Gespür für das Fremde im Eigenen“ attestierte Jutta Bendt, die auch der Findungskommission der Stiftung angehört, der temperamentvollen Autorin. Die FAZ befand über Katrin Seddigs Romanerstling „Runterkommen“ – die Geschichte einer Verwahrlosung – sie erweise sich darin als „Meisterin des Mediokren“ – des schwer Durchschaubaren.
Schon als Kind sei sie eine „besessene“ Leserin gewesen, habe viel geschrieben, erzählte die Verfasserin diverser Erzählungen, Essays und Kurzgeschichten. „Die meisten Leute, die lesen, schreiben auch“, findet die humorvolle Stipendiatin. Ihre – wie Jutta Bendt es formulierte – „unglaublich authentischen Geschichten“ findet Katrin Seddig im Alltag. „Dramen passieren in jeder Gesellschaftsschicht“, stellte das Mitglied einer Hamburger Lesebühne fest. „Wie die Liebe einfach kaputtgeht und man nicht sagen kann, wie das passiert ist“, fasste die Stipendiatin ein für sie typisches, dem Alltag entnommenes Thema.
Dem Debut-Roman 2010 folgten „Eheroman“ 2012, „Eine Nacht und alles“ 2015 und zuletzt 2017 „Das Dorf“. Hier thematisiert sie das Leben auf dem Land, wo die Dörfer oft ihren Charakter verloren haben. Sätze wie „Sie küsste sich immer mit einem, wenn wir irgendwo waren,“ oder „Sah mir dabei zu, wie ich mich langsam aus mir herauspellte“, zeigen Katrin Seddings meisterhafte Formulierkunst und Fähigkeit, ihre Sprache der ihrer Romanfiguren anzuverwandeln. „Im Ton meines 17-jährigen Ichs“, wie sie selbst anmerkt.
Im August soll nun ihr neuestes Werk „Sicherheitszone“ erscheinen, die Geschichte einer Hamburger Familie, deren Leben „zum G28-Gipfel eskaliert.“ Vieles aus jenen chaotischen Tagen sei bis heute nicht aufgearbeitet. „Ich wollte einfach Zeuge sein, erfasse aber nur einen beschränkten Ausschnitt von dem, was passiert“, gibt Sedding einen Ausblick. „Ein Thema, das mich sehr erregt hat“ und an das sie in der Calwer Dichterklause im Haus Schaber am Marktplatz letzte Hand gelegt hat. Nach einem Buch sei sie jedoch grundsätzlich „frei“ für den nächsten Text, habe am Ende „zum Lektorat schon keine Lust mehr.“
Auf das „kleine literarische Manifest“ ihres Hesse-Stipendiums darf man jedenfalls schon jetzt gespannt sein.