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Internationaler Hermann-Hesse-Preis an Nicholson Baker und Eike Schönfeld

Die Hesse-Preisträger Nicholson Baker und Eike Schönfeld
SPK

„In der Literatur hat jedes Wort Gewicht. In Nicholson Bakers Werken hat es auch einen bestimmten Umfang, es hat Rundungen, Ecken und einen Rand. Das Wort teilt die Atemluft desjenigen, der es ausspricht, und wenn es da ist, wirft es einen Schatten, der seine Tiefe nicht sofort preisgibt.“ So adelte Laudatorin Antje Rávic Strubel das Werk des US-amerikanischen Schriftstellers Nicholson Baker, der gemeinsam mit seinem deutschen Übersetzer Eike Schönfeld in der Calwer Aula den Internationalen Hermann-Hesse-Preis 2014 erhielt.

Der 1957 in Rochester geborene Nicholsons Baker sei im US-Literaturbetreib ein Abweichler von den Schreibschulen amerikanischer Universitäten, stellte die Laudatorin fest. Von Bakers bislang 15 Büchern übertrug Eike Schönfeld zwölf „in ein Deutsch von bewundernswerter Leichtigkeit, Eleganz und Treffsicherheit“, das in der Genauigkeit dem Autor in nichts nachstehe, attestierte Strubel. Dabei beweise Schönfeld große Geduld und „enorme Findigkeit in der Recherche.“

Wo auch immer der Erzähler (Baker) sich aufhalte, befinde er sich in der Rolle des Naturforschers. Mit mikroskopischer Genauigkeit betrachte er die um ihn herum wuchernde Welt, die bei seiner eigenen Nase und ihrem komplexen Innenleben beginne oder mit dem Biss in einen Apfel, sezierte Antje Rávic Strubel die Arbeitsweise des Hesse-Preisträgers. „Bakers Beschreibungen lassen das lesende Hirn rauschen“, machte die vielfach ausgezeichnete Berliner Autorin deutlich. Und der Übersetzer bringe „das sprachliche Reservoir… auf eine so exakte deutsche Entsprechung, dass Sie danach nie wieder, sagen wir mal, unbewusst in einen Apfel beißen können.“ Eike Schönfeld folge spielend „Bakers verschlungenen Satzpfaden. Komplexe Gedanken finden bei ihm in Formulierungen von grandioser Klarheit.“

In seinen erotisch-pornografischen Büchern treibe Baker die Körper und unsere Vorstellungen von ihnen „ganz moralfrei an die sprachlichen Grenzen“. Nach der Lektüre der gesammelten Werke Nicholson Bakers habe sich die Wahrnehmung erhellend verschoben, ist Laudatorin Strubel überzeugt. „Das Sehen ist erfrischt, die Sinne sind gewandelt“, so wie der Namensgebers dieses Preises, Hermann Hesse, es einmal heraufbeschwor: „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise/mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“

In seiner englischen Dankesrede stellte Baker amüsante Bezüge zwischen Hesses Werk und Geburtsstadt her, die auch um die Tassotti-Bronze des Dichters auf der Nikolausbrücke kreisten. „Then I read a little bit of ‘Siddhartha’, imagining that the river he wrote about in that book was actually this river, the Nagold.” Und sein kongenialer Übersetzer und Freund Eike Schönfeld ging auf die Besonderheiten seiner Arbeit ein mit „oft anderthalbseitigen Bandwurmsätzen und endlosen Fußnoten – die Sprache gewordene Komplexität des Denkvorgangs.“ Stets gebe es „viel Terminologisches zu recherchieren, reale Fachbegriffe von Baker-eigenen Termini zu scheiden.“ Der „Schwappschutzdeckel“ auf dem Kaffeebecher ist so eine Schöpfung. Wie exakt sich der Sprachrhythmus in Original und Übertragung angleichen, stellten die Preisträger mit einer deutsch-amerikanischen Lesung unter Beweis.

Was wäre Volker Michels ohne Hermann Hesse und was Hesse ohne Michels? Mit dieser Frage leitete Egbert-Hans Müller seine Laudatio auf den Ehrenpreisträger ein. Und beantwortete sie durchaus eindeutig, denn das Riesenwerk von Hermann Hesse habe „als Pfleger, als Hüter, als bis in die letzte Zeile hinein verantwortungsvollen, kundigen Betreuer und Bewahrer, der findig das Werk Hesses immer neu zu beleuchten, ihm neue Perspektiven abzugewinnen vermag, der die Rezeption, sagen wir: die Gegenwärtigkeit Hesses, durch Sicherung stabilisiert – ich erinnere hier nur an die etwa 150 Einzelausgaben – dieses Riesenwerk hat ihn, dem heute und hier für das alles, für seinen Einsatz, für seine Leistung, für seine Hingabe gedankt werden soll, gedankt von der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung mit einem Sonderpreis; Hermann Hesse hat Volker Michels. Die Hermann-Hesse-Stiftung dankt Volker Michels.”

Der so gewürdigte und einmal scherzhaft als „Stellvertreter Hesses auf Erden“ Bezeichnete dankte bewegt und in gewohnter Bescheidenheit für den erstmals vergebenen Ehrenpreis der Calwer Stiftung. „Was ist beglückender, als einem Weltbild zum Durchbruch verhelfen zu dürfen, das so hilfreich und zukunftsorientiert ist wie das von Hermann Hesse?“, formulierte Michels. Die „Wünschelrutengänge“, das „Erforschen und Kommentieren der biografischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge“ seien indes dermaßen spannend gewesen, dass man darüber gar nicht gemerkt habe, wie arbeitsintensiv diese Aufgabe gewesen sei. Dass meine Frau, nach unserer einzigartigen, 45 Jahre währenden Lebens- und Arbeitsgemeinschaft vor zwei Jahren gestorben ist und die heutige Anerkennung nicht mehr erleben darf, wie auch Hermann Hesses stets hilfreicher Sohn Heiner, der uns dabei mehr als 30 Jahre zur Seite stand, ist das einzige, was einen Schatten auf meine Freude über Ihre freundliche Würdigung wirft.“ Millionen dankbaren Lesern in aller Welt sei die schöne und geschichtenreiche Stadt Calw „zu einer inneren Heimat, zu einem Mekka“ geworden.

Die festliche Veranstaltung in der Calwer Aula wurde von einem Bläserquintett der Musikschule stimmungsvoll umrahmt und Stiftungs-Vorsitzender Dr. Andreas Narr konnte zahlreiche Vertreter des öffentlichen und kulturellen Lebens begrüßen. Dass erstmals ein Autor und sein Übersetzer gleichermaßen ausgezeichnet wurden, hob Narr besonders hervor: „Ohne Übersetzung können Grenzen nicht überwunden werden, was die Qualität eines Werkes zwar nicht schmälert, wohl aber seinen Wirkungskreis.“

Stefanie Schneider erinnerte an die Gründung der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung 1989. Calw habe es Hermann Hesse nicht immer leicht gemacht – „umgekehrt gilt das vermutlich auch – aber das sind die Spannungen, die Reibungen, aus denen große Gedanken und große Texte entstehen.“

Und Kuratoriumsvorsitzender Friedrich Herzog von Württemberg schließlich würdigte den erstmals International verliehen Preis als „Meilenstein in der Literaturszene“. Literatur baue Brücken nicht nur über Grenzen, sondern auch über Zeiten hinweg. Daher sei die Arbeit der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung so wertvoll, weil sie die große Literatur Hermann Hesses konserviere und in die Zukunft trage.

Text und Fotos: Andreas Laich
Video: Armin Schnürle

Laudatio Strubel.pdf
Dank Baker.pdf
Dank Schönfeld.pdf

Zitat der Woche

„Besser ist es, Unrecht leiden als Unrecht tun. Falsch ist es, mit verbotenen Mitteln das Erwünschte verwirklichen zu wollen.“

Aus einem Brief Hermann Hesses 1950