„Man lebt im Vogtland ganz ähnlich wie im Schwäbischen“, hat Utz Rachowski festgestellt. Der neue Hesse-Stipendiat fühlte sich in Calw sichtlich wohl. Vertreter der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung und der Stadt begrüßten den Vogtländer im Casino der Sparkasse. „Es gibt nur gute Literatur, und die andere muss man nicht kennen“, bekannte der vielfach ausgezeichnete Autor beim Empfang.
Die Calwer Hermann-Hesse-Stiftung wird getragen von der Sparkasse Pforzheim Calw und vom SüdwestRundfunk. Stiftungs-Vorsitzender Dr. Andreas Narr, Leiter des SWR-Studios Tübingen, trug in seiner Begrüßung Udo Lindenbergs soeben erschienene Gedanken zu Hesse vor. Calw kann stolz sein auf die hochkarätigen Vertreter der Gegenwartsliteratur“, die als Stipendiaten die „Dichterklause“ im Ledereck bewohnen. Gewohnt souverän stellte Egbert-Hans Müller, Vorsitzender der Stiftungs-Findungskommission, den Freund vor.
Utz Rachowski, geboren 1954, wurde mit 17 von der Oberschule verwiesen wegen Gründung eines Philosophieclubs. Als Bahnhofsarbeiter und Elektromonteur schlug er sich durch, Grundwehrdienst und Abitur folgte ein kurzes Medizinstudium in Leipzig. 1979 Verhaftung und Verurteilung zu 27 Monaten Gefängnis wegen fünf Gedichten und der Verbreitung verbotener Literatur (Biermann, Fuchs, Kunze, Pannach). Als Klient von amnesty international wurde Rachowski im November 1980 ausgebürgert und lebte bis 1992 in Westberlin und Göttingen. Nach dem Studium der Kunstgeschichte und Philosophie kehrte er 1992 ins Vogtland zurück, wo er als Freier Autor mit Nebenberufen lebt. Seit 2003 ist Rachowski Bürger- und Rechtsberater zur Rehabilitierung von Opfern der DDR-Diktatur im Auftrag des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Akten.
Rachowskis Vita sei eine nicht untypische DDR-Autoren-Biografie, merkte Egbert-Hans Müller an. In der Erzählung „Sebastian“ steht dazu der Satz: „Die Wege der Freiheit sind gesäumt von den Umwegen der Lebensläufe.“
Wolf Biermann hatte Utz Rachowski für den Eduard Mörike-Förderpreis 1991 in Fellbach vorgeschlagen. Jener Autor, dessen Schriften Rachowski unter anderen Werken in der ehemaligen DDR verbreitet hatte und dafür verurteilt worden war. „Knapp im Sozialen und lapidar im Seelischen“ rühmte Biermann bei der Preis-Verleihung die Prosa der Vogtland-Autoren. Und Rachowski selbst adelte er als „störrischen Wahrheitssucher“.
Zehn Bücher, darunter zwei Gedichtbände und ein Hörbuch, hat Rachowski bislang veröffentlicht, als bekannteste wohl „die letzten Tagen der Kindheit“ und „Namenlose“. Er versuche darin, „das Politische und Unpolitische parallel zu halten, um ein Gleichgewicht herzustellen.“ „Entsetzen und Traurigkeit über die Zustände“ seien zwar oft vorherrschende Gefühlte, keinesfalls jedoch der erste Schreibimpuls gewesen. Den Schritt zum Buch sieht Rachowski eher als „Lutherische Entscheidung: Da steht man nun und kann nicht(s) ander(e)s.“
Hans-Joachim Schädlich, wie der Hesse-Stipendiat aus dem Vogtland stammend, schreibt über dessen aktuelles Buch „Red’ mir nicht von Minnigerode“: “Utz Rachowskis Erzählungen verwandeln die „wirkliche Wirklichkeit“ in eine poetische Wirklichkeit von großer aufrichtiger Schönheit. Und sie wahren ein Geheimnis, das der Leser zu ergründen hat. Rachowskis Essays, Reden und Gespräche lassen in ihrer Klarheit und couragierten Kompromisslosigkeit keine billige Geschichtsvergessenheit zu. Eine Wohltat angesichts des gleichmacherischen Zeitgeistes.”
Text: Andreas Laich